Werte, so habe ich mitunter den Eindruck, sind etwas kompliziertes. Seit den alten Griechen beschäftigen sich die Philosophen mit der Frage, was Werte sind, in den Wirtschaftswissenschaften ist die Wertschöpfung ein zentrales Thema, und auch in der Psychologie, in der Pädagogik und Soziologie ist die Frage nach den Werten von Bedeutung. So ist heute um die Werte eine recht verbreitete und kontrovers geführte Diskussion entstanden – einerseits über die Frage was Werte sind und andererseits wie sie unser Leben bereichern können. Im Folgenden stelle ich dar, in welcher Weise der Begriff „Wert“ in den Guten Gesprächen verwendet wird.
Doch was ist überhaupt ein Wert? Darunter verstehen wir etwas wertvolles, etwas attraktives, etwas erstrebenswertes. Ein Wert befriedigt ein Bedürfnis. Nach dem Psychologen Abraham Maslov sind dabei die materiellen Bedürfnisse: Satt zu werden, ein Dach über dem Kopf zu haben, Sicherheit und Gesundheit, von den persönlichen oder seelischen Werten zu unterschieden, etwa dem Wunsch nach Eigenständigkeit, nach Klarheit oder Verbundenheit.
Wie bei den Bedürfnissen unterscheiden wir auch bei den Werten zwischen materiellen und seelischen Werten. Die materiellen Werte befriedigen unsere körperlichen Bedürfnisse, sie sichern unsere Existenz – etwas zu essen, eine Wohnung, ein Arbeitsplatz, ein Arzt, ein gefülltes Sparbuch. Im Gegensatz dazu befriedigen die seelischen Werte unsere individuellen, unsere persönlichen Bedürfnisse. Wenn wir zum Beispiel Eigenständig sein wollen, dann erfordert das verschiedene Eigenschaften: so wir haben entschieden zu sein, phantasievoll, verantwortlich, durchsetzungsstark und würdevoll. Indem wir diese Persönlichkeitseigenschaften aufgreifen, können wir der Eigenständigkeit in unserem Leben einen bewussten Ausdruck geben. Diese Eigenschaften stellen Werte dar, die unsere Persönlichkeit ausmachen. Es sind unsere Tugenden.
Materielle Werte wollen wir haben, sie besitzen. Sie richten unseren Willen aus. Die materiellen Bedürfnisse haben wir von der Geburt an bis ins hohe Alter und wir lernen bereits in der frühen Kindheit, sie zu befriedigen. Und die seelischen Werte? Diese entwickeln wir im Laufe unseres Lebens. Zuverlässigkeit, Einfühlungsvermögen, Klarheit, Übersicht – diese Werte bedeuten uns im Kleinkindalter noch nichts, doch wir bringen sie im Laufe unserer Entwicklung mehr und mehr zu einer Vorstellung. Wesentlich ist dabei unsere Erziehung. Doch damit ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Wir haben die Werte für uns selbst immer weiter zu formen, bis wir eine ganz eigene Vorstellung davon haben, wie wir sie für uns selbst aufgreifen können, um sie im Alltag auszuleben. So sind wir als Kinder mitunter bockig und störrisch wie das Rumpelstilzchen, und es ist ein langer Entwicklungsweg bis zum weisen König.
Doch was macht die seelischen Werte jetzt wertvoll? Bei den materiellen Werten sehen wir es unmittelbar ein, denn wir haben einen unmittelbaren Vorteil durch diese Werte. Aber bei den persönlichen Werten? Was habe ich davon ehrlich zu sein? Ist es nicht in manchen Situationen geradezu angebracht zu lügen, um für mich daraus einen Vorteil zu gewinnen? Ist Ehrlichkeit dann nicht mitunter geradezu naiv und dumm?
Durch materielle Werte verspreche ich mir einen Vorteil. Dafür bin ich bereit, mich zu engagieren. Mit den persönlichen Werten, mit unseren Tugenden ist unser Vorteil nicht so offensichtlich. Sie geben an, wie ich etwas mache, mit welchen Eigenschaften – für mich alleine und auch im Miteinander. Die persönlichen Werte verleihen mir ein Ehrgefühl, mit dem ich meine Aufgaben erledige und mit denen ich mich in die Beziehungen zu den Mitmenschen einbringe. Wenn ich ehrlich bin, dann können sich die Mitmenschen auf mich verlassen, sie können mir vertrauen. So bildet die Ehrlichkeit und alle weiteren persönlichen Werte eine Basis für das Gestalten des Miteinanders.
Die persönlichen Werte haben wir in jeder Situation aufs neu zum Leben zu bringen. Die Tugend der Ehrlichkeit nutzt nur, wenn ich sie in jeder Situation aufs neu praktiziere, wenn ich diese Tugend durch meine Person selbst zum Ausdruck bringe. Dann schafft sie eine Verlässlichkeit, eine Vertrautheit. Dann bildet die Tugend eine Basis für das Miteinander.
Und wie spielen jetzt die Bedürfnisse und Werte zusammen? Die materiellen und seelischen Bedürfnisse geben vor, was wir wollen. Sie geben uns unsere Ziele vor. Und die Werte bestimmen wie wir das Ziel erreichen – einerseits mit welchen Tugenden und andererseits, welche materiellen Werten wir dabei verwenden. Als Resultat haben wir etwas Neues geschaffen – sowohl das materielle als auch das seelische Bedürfnis sind befriedigt.
Zum Beispiel wollen wir ein Haus bauen. Das Haus zu haben ist das materielle Bedürfnis. Doch mit dem Haus verfolgen wir auch ein seelisches Bedürfnis: etwa wollen wir eigenständiger sein. Um die Bedürfnisse zu befriedigen, braucht es einerseits materielle Werte: Steine, Holz, Ziegel, Türen, Fenster und natürlich Geld. Ferner braucht es die persönlichen Werte. Sie geben vor, wie, mit welchen inneren Einstellungen und mit welchen Fähigkeiten der Bauherr, der Architekt und die Handwerker die einzelnen Schritte beim Errichten des Hauses ausführen. Im Zusammenspiel der materiellen und persönlichen Werte wird Schritt für Schritt das Haus errichtet. Und ist das Haus fertiggestellt, dann ist sowohl das materielle Bedürfnis befriedigt – das Haus – als auch das seelische Bedürfnis – die Eigenständigkeit. Dann ist eine Ordnung geschaffen.
Dabei haben wir aktiv darauf zu achten, dass unsere materiellen und persönlichen Bedürfnisse und Werte sich gut ergänzen. Denn erst durch das konstruktive Zusammenspiel der beiden Bedürfnisarten sind wir in der Lage, bereichernde Ziele in unserem Leben zu verwirklichen.