Gute Gespräche sind ein wesentlicher Aspekt eines aktiv und bewusst gestalteten Miteinanders. Im Folgenden möchte ich die aktive Entwicklung eines guten Gesprächs auch anhand des psycho-emotionalen Zusammenwirkens der Positionen beschreiben. Der Einfachheit halber werden die beiden Positionen ‚Gesprächsführender‘ = ‚Ich‘ und ‚Gesprächspartner‘ (das heißt: Teilnehmer allgemein) = ‚Du‘ genannt. In der Abbildung sehen Sie, wie sich das Gespräch entwickelt – beginnend mit den inneren Kreisen, die im Verlauf immer weiter und offener werden.
Am Anfang des Gesprächs nehmen beide Positionen Kontakt auf. ‚Ich‘ beobachtet unvoreingenommenen und interessiert ‚Du‘ und nimmt dabei die Wirkung der eigenen Worte auf ‚Du‘ genau wahr. Im Weiteren geht ‚Ich‘ unmittelbar auf die Situation von ‚Du‘ ein, und beide klären das Anliegen beziehungsweise Thema des Gesprächs. Sie betrachten auf der Grundlage des Anliegens die Gesamtsituation und bemühen sich um eine möglichst umfassende und realistische Beschreibung, sowohl inhaltlich als auch emotional. ‚Du‘ bekommt genügend Raum, sein Anliegen darzulegen und im Dialog mit ‚Ich‘ der Frage nachzugehen: Welches zentrale Bedürfnis liegt der Situation zugrunde? Das erfordert von beiden die Bereitschaft, einfühlsam zuzuhören und sich für den anderen ehrlich zu interessieren. Das Gespräch wird aktiv im gegenwärtigen Augenblick gestaltet. Urteile, Bewertungen, Interpretationen der Situation, Wälzen von Problemen, abstraktes Theoretisieren und ausschweifendes Lamentieren sind zu vermeiden, denn all dies führt aus der konkreten, realen Situation heraus und verklärt den Blick auf das Wesentliche darin.
Ist die gemeinsame Basis in der konkreten Benennung des zentralen Bedarfs geschaffen, stellt sich als Nächstes die Frage nach passenden, gestaltenden Gedanken in Form von Impulsen und Ideen. Beide Positionen nehmen sowohl die eigenen als auch die Vorschläge des anderen offen auf und bringen diese möglichst in einen sinnvollen Austausch, und keiner versucht, seine eigenen Ideen beim anderen durchzusetzen. Auf diese Weise wachsen die gesammelten Gedanken zu etwas Neuem zusammen, ergänzen und befruchten sich, und beide Gesprächspartner fühlen sich inspiriert. Kristallisiert sich aus der Ideensammlung eine zu favorisierende Variante heraus, wird der Entschluss gefasst, diese Variante tatsächlich aufzugreifen und ihn zum Maßstab der neuen Ausrichtung der Situation zu machen. Dafür müssen sich beide Gesprächspartner darauf einlassen, gemeinsam den Entschluss zu tragen.
Der zuerst noch visionäre Gedanke wird zu einer konkreten Lösung für den Bedarf präzisiert, geklärt und bis ins Machbare heruntergebrochen. Im Licht des Gedankens ergeben sich neue Perspektiven und Möglichkeiten. Es entsteht im ‚Ich‘ und im ‚Du‘ ein inneres Bild, wie die Situation durch den Gedanken neu ausgerichtet wird. Diese inneren Bilder müssen einander vermittelt werden, in dem Vertrauen, dass sie alle zum Gelingen beitragen. ‚Ich‘ und ‚Du‘ versuchen nicht, die Bilder gegeneinander auszuspielen, sondern einander anzupassen, sodass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Beide Positionen sind bereit, an den eigenen Bildern Korrekturen und Anpassungen vorzunehmen, weil sie sich auf das entstehende Resultat ausgerichtet und eingestimmt haben. Durch die Ausrichtung auf das gemeinsame Bild treten die Schubladen-Versionen, das heißt die Vorstellungen, Überzeugungen, Meinungen und Emotionen, mehr und mehr in den Hintergrund.
Im Zuge des Gesprächsverlaufs wächst die Bereitschaft der ‚Ich‘- und ‚Du‘-Positionen, der wachsenden Komplexität mit Offenheit und Wohlwollen dem jeweils anderen gegenüber zu begegnen. Auch die Fähigkeit, von einer selbstbezogenen Strategie abzusehen und sich dem gemeinsamen Annähern an die entstehende Möglichkeit, eine aktuelle und kreative Lösung zu finden, wächst, dargestellt in der Abbildung durch die sich erweiternden, dynamischen Kreisverläufe. So wächst auch die Wahrscheinlichkeit, im Licht der neuen Möglichkeiten und Perspektiven ein konkretes, inhaltliches Ziel zu formulieren. Dieses Ziel wird von ‚Ich‘ und ‚Du‘ angenommen und gemeinsam, unter der Prämisse des führenden Gedankens ins Visier genommen. Gemäß der individuellen Persönlichkeitsmerkmale, der speziellen Stärken von ‚Ich‘ und ‚Du‘, erfolgt nun die Umsetzungsplanung, Schritt für Schritt.
Auch bei der Neugestaltung der Ausgangssituation sind sowohl die unterschiedlichen Fähigkeiten als auch die individuellen Empfindungen und Vorstellungen sowie äußere Störeinflüsse und Hindernisse zu berücksichtigen. Der neu gesetzte Maßstab gibt beiden die innere Stabilität, sich von den Hindernissen nicht dominieren zu lassen und mit Distanz auf die zu überwindenden Diskrepanzen zwischen den ‚Ich‘- und ‚Du‘-Vorstellungen zu schauen. Beide Positionen fühlen sich in angemessener Weise handlungsfähig und kooperativ.