Xanthippe: Hallo Sokrates, jetzt haben wir herausgearbeitet, wie wir unsere eigenen Ziele erreichen können. Aber bei großen Aufgaben benötigen wir die Mithilfe und Unterstützung von anderen Menschen. Wie können wir dann im Miteinander Ziele erreichen?
Sokrates: Ja das ist eine gute Frage. Denn schauen wir uns um, dann stellen wir fest: das ist gar nicht so einfach.
Xanthippe: Ich habe gerade zu den Eindruck: im Miteinander wirklich gute Ziele zu erreichen, das geht gar nicht. Schau doch, all die Großprojekte und Vorhaben. Da wird mit viel Aufwand und Geld versucht etwas auf die Reihe zu kriegen und dann bleibt das Resultat häufig hinter den Erwartungen zurück oder zumindest wird der ursprüngliche Zeit- und Kostenrahmen gesprengt.
Sokrates: Ja sicher, es ist nicht einfach im Miteinander etwas zu bewerkstelligen. Doch betrachten wir einmal ein Beispiel, wo beeindruckende Resultate im Miteinander erzielt wurden, die die Zeiten überdauert haben: die Pyramiden. Im alten Ägypten gab es eine strenge hierarchische Ordnung vom Pharao, Baumeister, Arbeiter und Sklave mit einer klaren Aufgabenteilung. Diese Hierarchie und die Disziplin, mit der sie eingehalten wurde, schafften eine strenge Ordnung für das Miteinander und diese Ordnung war sicher eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Pyramiden gebaut werden konnten.
Xanthippe: Zugegeben, die Pyramiden sind beeindrucken. Doch lässt sich diese Hierarchie nicht auf die heutige Zeit übertragen. Heute sind wir freie Menschen.
Sokrates: Aber die Frage sei erlaubt: wie lässt sich ein Miteinander freier, eigenständiger Menschen gestalten, so dass gesetzte Ziele verwirklicht werden?
Xanthippe: Schauen wir in die Natur. Die Tiere machen es uns vor mit ihrer Schwarmintelligenz.
Sokrates: Dort treffen wir auf emergentes Verhalten, also ein Verhalten bei dem durch das Zusammenspiel einer Schar von einzelnen Elementen etwas Gemeinsames, etwas Übergeordnetes entsteht.
Xanthippe: Sei es die äußere Form eines Fisch- oder Vogelschwarms sei es das gemeinsame Jagdverhalten in einem Löwenrudel oder sei es die Struktur einer Schneeflocke durch die gefrorenen, zusammenhaftenden Wassertropfen.
Sokrates: In all den Beispielen sind die entstehenden Strukturen nicht direkt in den einzelnen Elementen enthalten, sondern sie resultieren aus dem Zusammenwirken der Elemente.
Xanthippe: Zum Beispiel formiert sich eine Schar fliegender Gänse immer zu einem V. Dieses Verhalten erfolgt bei den Gänsen ganz instinktiv. Jeweils eine Gans fliegt voran und die anderen folgen schräg versetzt in ihrem Windschatten. Und da das Fliegen an der Spitze anstrengend ist, wechseln sich die Gänse in ihren Positionen ab.
Sokrates: Im Miteinander ist das Fliegen vielkräftesparender, als wenn jede Gans für sich alleine losfliegt. Und haben die Gänse das gemeinsame Ziel, in den Süden zu fliegen, so können sie dies mit ihrer Flugordnung gut erreichen.
Sokrates: Auch bei uns Menschen treffen wir auf emergentes Verhalten. Etwa auf der Autobahn.
Xanthippe: Ja genau! Der Verkehr fließt dahin: mal geht es zäh voran, dann stock es und wenig später können wir zügig fahren. Dabei erkennen wir oft gar nicht die Ursache. Vielleicht hatte ein LKW Fahrer auf die Bremse getreten und dadurch einen Rückstau ausgelöst. Egal. Als Autofahrer passen wir uns einfach dem Verkehrsfluss an.
Sokrates: Wir sind Teil des Ganzen. Der Verkehr zieht in Wellen dahin, mal geht es flott voran, mal langsamer. Und wir sind Teil dieser Welle, fahren mit ihr mit und kommen ans Ziel.
Xanthippe: Versuchen wir hingegen aus der Welle auszubrechen, starten riskante Überholmanöver, so steigt einerseits unser Blutdruck und außerdem erhöht sich die Unfallgefahr – und dann kommt die gesamte Welle erst einmal zum Stehen.
Sokrates: In diesem Beispiel liefert die Wellenbewegung die übergeordnete Ordnung. Es entsteht aus dem Zusammenwirken der einzelnen Autofahrer.
Xanthippe: Dabei ergibt sich die Wellen für die Fahrer unbewusst, denn sie haben selbst keinen direkt steuernden Einfluss darauf.
Sokrates: Doch wir Menschen verfügen über die großartige Fähigkeit, und können emergentes Verhalten auch ganz bewusst herbeiführen.
Xanthippe: Und wie geht das?
Sokrates: Dafür braucht es einen das Miteinander ausrichtenden Gedanken, eine Antwort auf die Frage: Wie können wir das Ziel im Miteinander erreichen?
Xanthippe: Dabei hat die Antwort für die Situation zu passen und für alle Beteiligte attraktiv zu sein, für alle einen Sinn zu ergeben.
Sokrates: Haben wir so einen Gedanken gefunden, dann wird das Ziel greifbar, dann sind wir bereit, uns für das Ziel mit zu engagieren, uns in das Miteinander einzufügen und unser Handeln nach dem Gedanken ausrichten. Jeder bringt sich nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten ein, achtet auf den anderen und gemeinsam entsteht eine tragende Ordnung durch die das Ziel erreicht wird.
Xanthippe: Sokrates hast Du dafür ein konkretes Beispiel?
Sokrates: Ja. Betrachten wir ein Orchester. Soll ein Musikstück aufgeführt werden, so stellt sich der Dirigent vorab die Frage, wie er das Musikstück interpretieren will, wie er das Zusammenspiel der Musiker ausrichten und das Stück gestalten möchte. Dabei fördert und fordert der Dirigent jeden einzelnen Musiker nach seinen ganz individuellen Möglichkeiten. Und natürlich hat jeder der Musiker seinen Part zu beherrschen und sich passend in das Zusammenspiel einzubringen. Ist alles gut aufeinander abgestimmt, das zu spielende Stück, der Dirigent und die einzelnen Musiker, dann entsteht eine Ordnung, dann strahlt das Werk nach Außen, der Funke springt über, die Aufführung wird zu einer Freude – sowohl für die Orchestermitglieder als auch für das Publikum, das mitgeht, aufsteht und begeistert applaudiert. Neben dem Dirigenten und den Orchestermusikern gibt es noch eine weitere zentrale Person, die jedoch meistens im Hintergrund bleibt: den Komponisten, der die Idee für das Musikstück hatte und diese zur spielbaren Partitur auf Papier gebracht hat. Der Komponist schafft und formt das Musikstück, er gibt die Ordnung vor, schreibt vor, welche Musiker wie zusammenspielen. Von den Orchestern wir die Partitur aufgegriffen und zur Aufführung gebracht.
Xanthippe: Und anhand dieses Beispiels können wir 4 Schritte ableiten, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen:
- Finden des Gedankens
- Formen des Gedankens, Vorgeben der Ordnung
- Definition von Zielen für die Umsetzung des Gedankens
- Den Gedanken durch die Ordnung in die Realität bringen
Sokrates: Am Beispiel des Orchesters mag der erste Schritt eine Idee des Komponisten sein, zu welchem Thema er ein Musikstück verfassen will. Im Weiteren schreibt der Komponist die Partitur, die dann von dem Dirigenten aufgegriffen wird, interpretiert wird und gemeinsam mit dem Orchester einstudiert und zur Aufführung gebracht wird.
Xanthippe: Die vier Schritte beschreiben einen äußeren Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens ist für jedes einzelne Stück im Miteinander die spezifische Ordnung zu schaffen und zu einem Ausdruck zu bringen, so dass der Funke überspringt und die Aufführung zum Erfolg wird.
Sokrates: Dabei ist das Vorgehen getragen von eigenständigen Personen, von Künstlern, die ihre unterschiedlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten freiwillig in ein kooperatives Miteinander einbringen, um das gesetzte Ziel – eine gute Aufführung des Stückes – sicher zu erreichen.
Xanthippe: Mir fällt auf: die 4 Schritte zur Zielerreichung spiegeln sich auch in der Hierarchie des alten Ägyptens wider: der Pharao findet den Gedanken, eine Pyramide zu bauen, der Baumeister formt den Gedanken, plant die Pyramide, der Arbeiter definiert Ziele und gibt Anweisungen und die Sklaven führen diese aus. Auch hier geben die 4 Schritte den Rahmen vor, doch die Aufgabenverteilungen sind schon durch die Hierarchie klar festgelegt – es gibt keine oder nur sehr eingeschränkte Freiräume zur Gestaltung.
Sokrates: Richten wir unser Miteinander nach einem übergeordneten Gedanken aus, werden wir selbst zu emergent wirkenden Wesen. Im Bewusstsein des Gedankens bringt ein jeder seinen angemessenen Beitrag in das Miteinander ein, tauscht sich aus und als Ergebnis entsteht eine gemeinsam geschaffene, für die Situation spezifische Ordnung.
Xanthippe: Getragen von dieser verbindenden Ordnung, wird das Ziel im Miteinander erreicht. Dabei ist die passende Ordnung für die unterschiedlichen Themen, Fragestellungen und Situationen spezifisch herauszuarbeiten.
Himmel und Hölle
Einst kam ein Mann zum Propheten Elias. Ihn bewegte die Frage nach Himmel und Hölle, denn er wollte seinem Leben einen Sinn geben.
Da nahm ihn der Prophet bei der Hand und führte ihn durch dunkle Gassen in einen großen Saal, wo sich viele ausgemergelte Gestalten um die Feuerstelle drängten. Dort brodelte in einem großen Kessel eine köstlich duftende Suppe. Jeder der Leute besaß einen gusseisernen Löffel, der so lang war, wie er selbst. Der Löffel war auf Grund seiner Größe zu schwer, um allein die Suppe damit schöpfen zu können und zu lang, um damit die Nahrung zum Mund führen zu können. So waren die Menschen halb wahnsinnig vor Hunger und schlugen aufeinander ein vor Wut.
Da fasste Elias seinen Begleiter am Arm und sagte: „Siehst Du, das ist die Hölle.“
Sie verließen den Saal und traten bald in einen anderen. Auch hier viele Menschen. Auch hier wieder ein Kessel Suppe. Auch hier die riesigen Löffel. Doch die Menschen waren wohlgenährt, und man hörte in dem Saal nur das Summen angeregter Unterhaltung. Männer und Frauen hatten sich zusammengetan. Einige tauchten gemeinsam die schweren Löffel ein und fütterten die Gegenübersitzenden. Umgekehrt geschah es ebenso. Auf diese Weise wurden alle satt.
Und der Prophet Elias sagte zu seinem Begleiter: „Siehst Du, das ist der Himmel.“