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Eine Analogie aus der Physik: Supraleitung

Der Physiker David Bohm verglich das Führen „guter Gespräche“ mit der Elektronenbewegung in Supraleitern:

Bei tiefen Temperaturen werden stromführende Substanzen supraleitend. Dann verhalten sich die gekühlten Elektronen in den Leitern wie ein zusammenhängendes Ganzes: sie strömen koordiniert, ohne zu kollidieren, ohne Hindernisse, ohne Widerstand. Bei höheren Temperaturen verhalten sich die Elektronen wie unabhängige Teilchen, die sich willkürlich in alle Richtungen bewegen, die zusammenstoßen, wodurch Reibung, Wärme und damit ein Widerstand entsteht.

In der Physik spricht man von einem Phasenübergang. Hoch temperierte Elektronen stoßen aneinander, erzeugen Widerstände und Wärme, niedrig temperierte Elektronen bewegen sich widerstandsfrei. Um die eine Situation in die andere zu überführen, ist die Temperatur zu verändern. Wird der Leiter unter eine kritische Temperatur herab gekühlt, so findet der Phasenübergang statt, die Elektronen werden supraleitend. Wird der Leiter wieder erhitzt, so erfolgt der Phasenübergang in die andere Richtung, die Elektronen stoßen wieder zusammen.

Der wesentliche Punkt ist: Die Wechselwirkung, die die supraleitenden Elektronen bei tiefen Temperaturen miteinander koordiniert, ist auch bei hohen Temperaturen vorhanden, kann da aber aufgrund der hohen Energie, der hohen Geschwindigkeit der einzelnen Elektronen nicht zur Wirkung kommen. Erst wenn die Elektronen genügend heruntergekühlt werden, ihre Geschwindigkeit damit abnimmt, kommt die kollektiv ausrichtende Wechselwirkung zwischen den Elektronen zur Wirkung und der Leiter wird supraleitend.

Wir haben hier zwei unterschiedliche Arten von Ordnung in der Elektronenbewegung, die durch das Ändern der Temperatur ineinander überführt werden können. Wenn die Temperatur für die leitende Substanz einen kritischen Wert über- oder unterschreitet, ändert sich die dominante Art der Wechselwirkung zwischen den Elektronen, eine neue Ordnung entsteht.

Und was hat die Elektronenbewegung jetzt mit unserer Gesprächsführung zu tun?

In den „normalen“ Gesprächssituationen verhalten wir Menschen uns wie Hochtemperaturelektronen: Wir beziehen und verteidigen unsere Positionen, „stoßen zusammen“, erhitzen, vergeuden Energie indem wir unsere Ansichten und Positionen vertreten und so unbeabsichtigt gegen einander arbeiten.

In den guten Gesprächen wird durch den, die Personen verbindenden Bedarf ein gemeinsames Bewusstsein geschaffen. Es entsteht ein Raum für ein konstruktives Zusammenwirken der Gesprächspartner, wobei jeder seine Eigenständigkeit bewahrt.

Aber wie erfolgt der Phasenübergang in der Gesprächsführung? Wie können wir eine erhitzte Gesprächssituation in ein gutes Gespräch überführen? Wie führen wir gute Gespräche?

Bei den Elektronen haben wir universelle Ordnungen, die sich durch das Ändern des äußeren Parameters – der Temperatur – ineinander überführen lassen. Die Wechselwirkung der Elektronen ordnet sich dabei von selbst, spontan und „selbstorganisiert“ um.

In der Gesprächsführung gibt es keinen äußeren Parameter, den wir einfach nur zu verändern haben und siehe da, schon gelingt das Gespräch. In guten Gesprächen haben wir das spezifische der konkreten Situation zu erfassen und uns zu fragen: Was ist der gemeinsame Bedarf in der Situation? Wo drückt der Schuh? Ist die Antwort klar auf den Punkt gebracht, ist im nächsten Schritt eine gute Lösung für den identifizierten Bedarf zu entwickeln. Dabei stellt sich jeder die Frage: Was kann ich dazu beitragen, damit wir zu einer guten Lösung gelangen? Gemeinsam werden die Vorschläge geprüft, angepasst und verbessert und ein stimmiges Lösungsbild entwickelt. So haben die Gesprächsteilnehmer selbst den Keim für eine spezifische Ordnung aufzuspüren. Und dieser Keim ist weiter aufzugreifen, Schritt für Schritt zu einer guten, tragfähigen Lösung zu entwickeln und die Situation entsprechend neu auszurichten und zu gestalten.

Bei der Elektronenbewegung haben wir es mit einer universellen Ordnung zu tun, die sich mit der Temperatur ändert. Bei den guten Gesprächen schaffen wir dagegen im aktiven Miteinander selbst die Voraussetzung für eine neue, spezifische Ordnung. Dabei sind die passenden äußeren Rahmenbedingungen sehr förderlich, um eine gute Ordnung zu entwickeln: eine freundliche Umgebung, ein angenehmes Gesprächsklima, ein wertschätzendes, kooperatives  Miteinander.