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Bändigung des Affengeistes im Zeitschriftenladen

Es ist Advent. Wir wollen mit dem Zug nach Regensburg fahren, um dort die vorweihnachtliche Atmosphäre zu genießen. Am Münchner Hauptbahnhof haben wir noch etwas Zeit, bis der Zug abfährt.

Wir gehen in den Zeitschriftenladen, um uns Lektüre für die Fahrt zu besorgen.

Zielsicher greife ich zur Süddeutschen Zeitung und bezahle an der Kasse, ohne dabei das weitere Angebot des Ladens überhaupt wahrzunehmen.

Meine Frau schaut sich ausgiebig verschiedene Magazine an, zu diesem und zu jenem Thema.

Allmählich werde ich nervös, schaue auf die Uhr.

Komm! Der Zug fährt gleich ab!

Ach, jetzt dräng‘ mich bitte nicht, wir haben doch noch 10 Minuten.

Sie stöbert weiter, als hätte sie alle Zeit der Welt.

Jetzt müssen wir aber wirklich los, damit wir den Zug noch erwischen!

Ja, ja, ich komm ja schon! Aber ich habe noch gar nichts Passendes gefunden bei dem riesen Angebot …

Im letzten Moment erreichen wir den Zug und finden einen Sitzplatz. Die Laune meiner Frau verschlechtert sich:

Immer das Gleiche! Nie kann ich mich entscheiden; das Angebot ist so unübersichtlich. Früher, in der DDR, war die Auswahl wenigstens überschaubar.  Und wirklich interessant war sowieso nur die ‚Bückware‘, also das, was einem der Verkäufer unter dem Ladentisch zurückgelegt hatte.

Ja schon, das mag sein. Aber die Frage ist doch: Wie man es heute schafft, sich schneller zu entscheiden, oder?

Das hängt natürlich von der Situation ab. Wenn ich nur eine Viertelstunde Zeit habe, macht es gar keinen Sinn, das gesamte Sortiment zu prüfen. Das macht nur Stress.

Man sollte sich wohl schon vor dem Betreten des Ladens die Frage gestellt haben, was man kaufen möchte, das heißt bei einer Zeitschrift wenigstens das Thema vor Augen haben. Dann kann man das passende Regal direkt ansteuern und kann die anderen einfach ignorieren.

Also, das nächste Mal mache ich das so: Ich überlege mir vorher, worauf ich aktuell Lust habe, ob Garten, Kochen oder Sport…, aber ich werde nicht wie du automatisch zu einer Zeitschrift greifen, nur weil ich sie immer lese. Mein Bedürfnis ist ja von Mal zu Mal verschieden, je nach Stimmung und so weiter.

Stimmt, irgendwie scheine ich da einer Gewohnheit anzuhängen, wenn ich immer nur die Süddeutsche nehme.

Und wehe, die gibt es mal nicht!, lacht meine Frau.

Richtig, gebe ich offen zu, dann ist bei mir Krise angesagt und ich ärgere mich.

Wenn du eine informative Tageszeitung kaufen willst, gibt es ja noch andere, die genauso gut sind: Frankfurter Allgemeine oder TAZ oder …

Welche auch immer, jedenfalls treffe ich dann mal eine bewusstere eigene Entscheidung, anstatt ein altes Register zu ziehen. Das fühlt sich erfrischend an.

Ich fühle mich gleich ein bisschen freier.

Für mich wird es ab sofort viel stressfreier sein, eine Illustrierte zu kaufen!

Und ich werde mal ein bisschen flexibler und wacher sein, wenn ich die Nachrichten lese.

Außerdem spüre ich dann genauer, was mich wirklich interessiert: Kochen oder Wellness, Garten oder Haustiere, was immer mir gerade wichtig erscheint.

Ich denke, mir werden dann sogar auch mal andere Themen ins Auge fallen, wenn ich an den Regalen nicht so einfach vorbeigehe mit meiner Süddeutschen.

Interessant: Ich muss weniger schauen und du mehr.

Ja, spannend! Jetzt muss ich auch lachen.

Ich denke daran, demnächst neue Curryrezepte auszuprobieren. Mal schauen, ob ich für die Rückfahrt eine Kochzeitschrift dafür finde.

Und ich schaue dann mal wieder nach einer Schachzeitung; das Hobby pflege ich schon so lange nicht mehr.

Vor der Rückfahrt gehen wir in den Zeitschriftenladen am Bahnhof. Wir haben im Blick, dass wir maximal eine Viertelstunde Zeit haben. Wir prüfen gezielt das Angebot und finden schnell die Regale mit den Koch- und Schachzeitschriften. Wir prüfen das Angebot und nach 10 Minuten haben wir uns entschieden. Wir haben noch 5 Minuten Zeit, um gemütlich zum Bahnsteig zu schlendern.

Wir steigen in den Zug und sind zufrieden in die Lektüre vertieft auf dem Weg nach München.

Die Bändigung des Affengeistes, Teil 1

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