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Beispiel: Parkplatznot

Sokrates Freund Thomas führt ein IT-Unternehmen und er sucht bei wichtigen Fragen immer wieder den Rat des Philosophen.

Das Thema festlegen

Thomas: Hallo Sokrates, ich brauche deine Hilfe!

Sokrates: Ja Thomas, sag, wo drückt der Schuh?

Die Situation erfassen

Thomas: In meiner Firma haben wir in den letzten Jahren einen starken Wachstumskurs gefahren, doch jetzt kommen wir mit dem Platz an unsere Grenzen. Bei den Arbeitsplätzen geht es grad noch so, doch die Situation mit den Parkplätzen ist recht prekär. Es ist mittlerweile so, dass das Parkhaus am Morgen schon nach 9:00 Uhr voll ist und die Mitarbeiter dann im ganzen Viertel herumfahren müssen, um doch noch irgendwo einen Abstellplatz fürs Auto zu ergattern. Das Ganze sorgt für eine Menge Ärger und ich muss dieses Parkplatzthema in den Griff kriegen.

Die Ursache ermitteln

Sokrates: Und, hast du eine Lösung für das Dilemma?

Thomas: Na ja, jetzt hat ein Mitarbeiter vorgeschlagen, wir könnten eine App entwickeln, die einerseits anzeigt, wieviel freie Plätze es aktuell in der Tiefgarage gibt und über die sich Parkplätze im Voraus buchen lassen. Und jetzt weiß ich nicht, wie ich mich entscheiden soll. Soll ich den Aufwand mit der App betreiben oder nicht?

Sokrates: Hm, ja. Eine App. Doch frag dich mal: Was möchtest du wirklich? Denn es gibt doch viele Ansätze. Etwa könntest du die Mitarbeiter vermehrt ins Home-Office schicken, du könntest es über ein Job-Ticket attraktiver machen, dass die Mitarbeiter mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, sie könnten vermehrt Fahrgemeinschaften bilden und so weiter und so fort. Aber die entscheidende Frage dahinter ist, was ist für das Unternehmen die beste Lösung?

Thomas: Ja, Home-Office. Das machen jetzt immer mehr. Doch ich sehe das sehr skeptisch. Wir machen ja Projektarbeit und arbeiten intensiv in Teams zusammen. Und wenn die Leute dann alle in ihrem Home Office sitzen, da arbeitet ja doch jeder für sich allein und wird mehr und mehr zum Einzelkämpfer. Das ist bei einer konkreten Aufgabenstellung, die ein konzentriertes Arbeiten erfordert, durchaus angebracht, doch die besten Ideen, die kommen nun mal beim lockeren Gespräch in der Kaffeeküche oder beim gemeinsamen Essen. Und das können Online-Meetings einfach nicht ersetzen. Außerdem verlieren die Mitarbeiter durch das Home Office auch allzu leicht den Bezug zum Team und überhaupt zum Unternehmen.

Sokrates: Ah, das willst du also wirklich: Deine Mitarbeiter sollen konstruktiv zusammenarbeiten.

Thomas: Ja genau! Du bringst es auf den Punkt!

Sokrates: Dann musst du dafür halt die Möglichkeit schaffen!

Thomas: Du meinst, ich muss die Arbeit in dem Unternehmen so organisieren, dass eine möglichst konstruktive Zusammenarbeit erfolgt?

Sokrates: Ja, denn das ist es, was du willst. Die konstruktive Zusammenarbeit ist der Garant für den Erfolg deines Unternehmens!

Thomas: Ah ja! Und wenn ich dieses Ziel vor Augen habe, dann ist das mein Maßstab. Er verschafft mir eine Übersicht, in die ich die verschiedenen Ideen und Lösungsansätze einordnen kann, und außerdem gibt er mir ein klares Entscheidungskriterium – die Idee fördert die Zusammenarbeit oder nicht. Aus dieser Perspektive kann ich die verschiedenen Möglichkeiten für das Parkplatzdilemma abwägen, sie bewerten und zu einem Entschluss kommen.

Sokrates: Ja, erhebe das, was du wirklich willst, was die Basis bildet für den Erfolg deines Unternehmens, zur Grundlage für deine Ideen und deine Entscheidungen.

Am Ziel

Thomas: Sokrates, hab vielen Dank. Jetzt weiß ich, was ich will! Und jetzt kann ich den Ball selbst weiter aufgreifen und mit meinen Mitarbeitern eine passende Lösung für die Parkplatzsituation entwickeln.

Nehmen wir den Dialog genauer unter die Lupe:

Sokrates ist der Experte, der von seinem Freund Thomas konsultiert wird wegen seines Parkplatzdilemmas. Dabei geht es Thomas in der Ausgangssituation darum, einen Entschluss zu treffen. Er möchte eine Antwort auf die Frage: Soll die App entwickelt werden oder nicht? Doch Sokrates greift das Thema auf viel breiterer Basis auf. Ihm geht es nicht darum, einen ganz bestimmten Entschluss zu treffen, sondern vorab die Frage zu beantworten: Was will Thomas eigentlich? Und dieses Wesentliche, das, was Thomas wirklich will, arbeitet Sokrates mit ihm in dem Gespräch heraus.

Dabei wird die Situation immer genauer erfasst, bis Sokrates schließlich das Wesentliche erkennt und auch formulieren kann. Ist das Wesentliche einmal klar auf den Punkt gebracht, kann Thomas selbst den Prozess weiterführen, er kann mit seinen Mitarbeitern selbst Ideen finden, Entscheidungen treffen und so weiter. Wenn Thomas versteht, was er wirklich will  – oder was er für sein Unternehmen will – verschafft ihm das einen Überblick  in der Situation und er kann sein Denken, sein Fühlen und Handeln danach ausrichten. Und dafür braucht er nicht mehr die Unterstützung von Sokrates. Das Gespräch ist mit dem Identifizieren des zentralen Bedürfnisses, des Wesentlichen, beendet.

Das Wesentliche zu verstehen, ist in diesem Gespräch der Wert, der geschaffen wird, der eine neue Ordnung schafft, der Thomas in die Lage versetzt, im Weiteren selbst eine tragfähige Lösung für sein Parkplatzdilemma zu entwickeln.

Ein halbes Jahr später treffen sich Thomas und Sokrates wieder:

Sokrates: Thomas, jetzt bin ich aber doch neugierig. Sag, wie hat sich die Situation mit den Parkplätzen entwickelt?

Thomas: Ganz prima! Ich habe zusammen mit meinen Mitarbeitern eine wirklich gute Lösung gefunden.

Sokrates: Und wie sieht die aus?

Thomas: Wie du mir geraten hattest, haben wir die Zusammenarbeit im Unternehmen neu organisiert. Einerseits haben wir Projekttage eingerichtet, an denen die Mitarbeiter, die gemeinsam an einem Thema arbeiten, sich in der Firma treffen und sich austauschen. Für jedes Projekt sind zwei Projekttage in der Woche vorgesehen. Die übrige Zeit haben wir die Mitarbeiter gebeten, im Home Office zu arbeiten, sofern bei ihnen zu Hause die nötigen Voraussetzungen gegeben sind. Ein Plan sorgt dafür, dass sich die Anzahl der Mitarbeiter vor Ort recht gleichmäßig über die Woche verteilt.

Sokrates: Und wieso verbessert das die Zusammenarbeit?

Thomas: Einerseits ermöglichen die Projekttage eine wirklich effektive Teamarbeit, da die Mitarbeiter den Rücken frei haben von anderen Terminen. Und außerdem wurde die Einführung der Home Office Tage allgemein begrüßt. Denn diese ermöglichen einerseits ein konzentriertes Arbeiten an konkreten Fragestellungen, und außerdem können die Mitarbeiter ihre privaten Termine an diesen Tagen viel besser unterbringen.

Sokrates: So ist die Arbeit auch abwechslungsreicher geworden.

Thomas: Ja, und das belebt. Die Kollegen freuen sich regelrecht auf die Projekttage, auf den Austausch bei der Arbeit und auf das gemeinsame Essen.

Sokrates: So ist die Lösung sowohl für die Angestellten als auch für die Unternehmensführung ein Gewinn?

Thomas: Auf jedem Fall. Denn die Teams sind motivierter und die Arbeit läuft viel effektiver als zuvor. Zugleich hat sich das Parkplatzproblem wie von selbst gelöst. Und nicht zuletzt haben wir den Eindruck, dass durch die Neuausrichtung der Zusammenarbeit das gesamte Unternehmen für die Mitarbeiter attraktiver geworden ist.

Sokrates: Ja, was will man mehr. Und die App?

Thomas: Nun von der App war gar nicht mehr die Rede.

Dieses Beispiel zeigt, dass ein Gutes Gespräch sich aus mehreren Einzelgesprächen zusammensetzen kann, die durchaus von verschiedenen Personen geführt werden:

  1. In der ersten Phase des Gesprächsprozesses konsultierte Thomas Sokrates als Experten. Da ging es um die Frage: Was will Thomas eigentlich für sein Unternehmen?
  2. Nachdem diese Frage geklärt war, griff Thomas den Faden mit seinen Mitarbeitern weiter auf und führte den Gesprächsprozess weiter: Sie fanden Ideen, kamen zu einem Entschluss, setzten die Idee mit ihrem neuen Zeitmodell um, teilten die Lösung den anderen Mitarbeitern mit und organisierten sich schließlich damit neu.  
  3. Das Resultat, die neue Regelung, machte alle zufrieden und Thomas teilte es Sokrates mit.