Xanthippe: Sokrates, wie beginnt man eigentlich ein gutes Gespräch?
Sokrates: Am Anfang des Gesprächs haben wir den Kontakt zwischen den Gesprächspartnern herzustellen. Es ist eine Beziehung zu knüpfen, die es ermöglicht, ein Thema für das Gespräch zu bestimmen.
Xanthippe: Also im übertragenden Sinne strecke ich die Hand aus, stelle die eigenen Interessen zurück und geht direkt und unvoreingenommen auf die Gesprächspartner zu mit der Frage, wie sich die Ausgangssituation für jeden Einzelnen darstellt.
Sokrates: Ja, die Situation der Gesprächsteilnehmer ist im Hinblick auf jeden Einzelnen unmittelbar, genau und spezifisch zu erfassen, um eine passende Einleitung für das Gespräch aufzuspüren.
Xanthippe: Dabei ist es jedoch wichtig, den Menschen keine Etiketten anzuheften, also auch die Art der Kontaktaufnahme nicht nach einem Etikett auszurichten. Wenn die Versuchung besteht, auf das Etikett „willensstarke Persönlichkeit“ zu schreiben, besteht auch die Gefahr, der Person zuzugestehen, dem Erreichen ihrer Ziele müsse unbedingt stattgegeben werden, ohne diese zu prüfen und mit dem Gesamtanliegen zu vereinbaren.
Sokrates: Heften wir den Menschen Etiketten an, so wirkt der Kontakt zu dieser Person leicht konstruiert und gekünstelt. Stattdessen haben wir uns auf den aktuellen Moment einzulassen und die ganze Person wahrzunehmen. Wenn wir anfangen, künstliche Brücken zu bauen, weil wir den anderen auf eines seiner Wesensmerkmale festlegen, stecken wir womöglich unsere Energie in die Überwindung einer empfundenen Kluft und verlieren dabei die Vielschichtigkeit der Person aus dem Blick.
Xanthippe: Hilfreich ist meist eine kleine einleitende Formulierung oder Frage – „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Was führt Sie zu mir?“ „Wie geht es Ihnen?“ „Wir könnten heute Nachmittag zusammen etwas unternehmen.“ „Heute haben wir ja wieder ein Sauwetter!“ – und schon gibt es eine Grundlage für ein gemeinsames Thema.
Sokrates: Doch oftmals ist es komplizierter: Die Offerte kann wirken wie ein geöffnetes Schleusentor, sodass der Gesprächspartner die Gelegenheit dazu nutzt, ausführlichst über alle seine Probleme zu berichten.
Xanthippe: Man kommt also schnell vom Hölzchen aufs Stöckchen. Auch wenn es die Person erleichtert, weil sie sich alles ‚von der Seele redet‘, bleibt dem oder der Gesprächsführenden dann nicht anderes übrig, als geduldig zuzuhören.
Sokrates: Dann aber ist es schwer, auf die Frage nach dem Thema zurückzukommen. Ein anderer Extremfall: Der Gesprächspartner ist verstockt und verschlossen; er kann sich nicht für ein Thema öffnen.
Xanthippe: Dann hat der Gesprächsführende erst Schritt für Schritt eine Vertrauensbasis zu schaffen, auf der die Person die Bereitschaft entwickelt, sich einzulassen. Geduldiges und genaues Beobachten und einfühlsames, unaufdringliches Nachfragen helfen dabei.
Sokrates: Dabei ist es in jedem Fall wichtig, bewusst auf die Eigenständigkeit als Gesprächsführer zu achten, so dass aus der ausgestreckten Hand keinen ganzen Arm im Sinne einer Vereinnahmung werden zu lassen.
Xanthippe: Das gilt auch für alle weiteren Prozessphasen: Das Thema ist der rote Faden, der sich durch das gesamte Gespräch zieht, und der Gesprächsführer ist dafür zuständig, dass die Gesprächsbeiträge durch Einzelne nicht abdriften beziehungsweise immer wieder zum Thema zurückgeführt werden.
Sokrates: Der Gesprächsführer sollte weder rigide sein noch sich schnell verführen lassen, sondern alle entlang des roten Fadens sicher zum Ziel führen.
Xanthippe: Und dabei sollten die Gesprächsteilnehmer ganz im Jetzt sein.
Sokrates: Genau, sie wollen in dem gegenwärtigen Moment für das Thema eine gute Lösung finden.
Xanthippe: Das ist gar nicht so einfach. Doch fällt mir dazu eine Geschichte ein:
Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.
„Meister“, fragten sie „was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“
Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“
Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: „Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?“
Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich.“
Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“