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Sei kein Fisch, der auf einen Baum klettert!

Von Albert Einstein ist das schöne Zitat überliefert:

Jeder Mensch ist ein Genie. Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.

Albert Einstein

Ja zuerst müssen wir über dieses Zitat natürlich lachen. Doch dann stellt sich die Frage: Was bedeutet das für mich? Wie ist das in meinem Leben? Wo passe ich mich den äußeren Anforderungen an? Wo bin ich ein Fisch, der auf den nächst höheren Ast in dem Baum klettert? Wo erkläre ich das Klettern zu meiner Aufgabe, zu meiner Pflicht, zu meinem Ziel und Lebensinhalt – obwohl doch eigentlich das Wasser mein Element wäre? Und treten Schwierigkeiten auf, wird das Klettern zu einer elenden Mühsal und reinen Plage, nun dann strenge ich mich natürlich noch mehr an, dann wird mein Ehrgeiz geweckt, dann ist mein Einsatz und mein Durchhaltevermögen gefordert. Und habe ich schließlich den Ast erklommen, dann erhalte ich als Dank anerkennende Blicke. Die Menschen klopfen mir auf die Schulter, ich bekomme eine Gehaltserhöhung, mir wird ein Orden verliehen, ich werde akzeptiert und habe nichts besseres zu tun, als mich wieder in die Plackerei zu fügen, um auf den nächst höheren Ast zu klettern.

Und wenn uns jemand fragt: „Bist Du eigentlich ein Affe? Liegt Dir das Klettern überhaupt?“ So antworten wir im Brustton der Überzeugung: „Natürlich!“ Denn wir identifizieren uns mit dem Klettern, – auch wenn es eine elende Plage ist –, denn schließlich haben wir ja unser ganzes Leben nach dem Klettern ausgerichtet. Und wenn uns jetzt dieser jemand sagt: „Halt ein! Schau in den Spiegel. Du bist kein Affe! Du bist ein Fisch. Das Wasser ist Dein Element, in dem Du Dich wohlfühlen kannst.“ Dann antworten wir erbost: „Ach, was erzählst Du da? Das geht ja gar nicht! Sieh meine ganzen Mühen, meine ganzen Plagen und Opfer, die ich auf mich nehme, um den nächsten Ast zu erklimmen. Das ignorierst Du völlig, das würdigst Du alles nicht. Sieh bitte ein: das Leben ist kein Zuckerschlecken. Es gibt keinen anderen Weg.“ Und spätestens dann sollte dieser fragende jemand besser den Mund halten, denn andernfalls fühlen wir uns allzu leicht in unserer Affenehre gekränkt, werden wütend, und ehe wir es uns versehen, artet die Sache in eine Streiterei aus.

So wollen wir unserer eigenen Natur oft gar nicht auf die Schliche kommen. Durch die ganzen Prägungen, die wir während unserer Erziehung, im Kindergarten, in der Schule, bei der Arbeit, im Umgang mit unseren Freunden und Bekannten erhalten haben, werden wir alle zu Affen gemacht und auf das Klettern ausgerichtet. Die Frage: Was macht mein Wesen eigentlich aus? Was liegt mir? Wo sind meine wirklichen Stärken und Fähigkeiten? Nun, diese Frage, die stellen wir uns nicht, oder besser, wir stellen sie uns nicht mit der nötigen Hartnäckigkeit, mit der erforderlichen Sehnsucht. Wir sind nicht wirklich bereit, uns auf die Frage in all ihrer Konsequenz einzulassen, um eine passende Antwort zu finden. Stattdessen klettern wir weiter, so gut wir eben können – sei es als Fisch, als Elefant, als Löwe oder was auch immer – und verleugnen damit unsere wahre Natur. Schließlich ergeht es uns, wie dem Adler im Hühnerstall:

Ein Bauer fand einmal ein Adler-Ei und legte es einer seiner Hennen ins Nest. Der Adler wurde zusammen mit den Küken ausgebrütet und wuchs mit ihnen auf. Er gackerte wie ein Huhn, pickte Körner, scharrte in der Erde nach Würmern und Insekten und schlug mit den Flügeln ohne aber fliegen zu können.

So verging Jahr um Jahr. Der Adler wurde alt. Eines Tages sah er einen prächtigen Vogel hoch oben am Himmel majestätisch seine Kreise ziehen.

Bewundernd schaute der alte Adler hinauf.

„Wer ist das?“ fragte er ein Huhn, dass gerade neben ihm stand.
„Das ist der Adler, der König der Vögel“, antwortete das Huhn.
„Wäre es nicht herrlich, wenn wir auch so hoch am Himmel kreisen könnten?“
„Vergiss es“, sagte das Huhn. „Wir sind Hühner.“

Also vergaß es der alte Adler und pickte weiter seine Körner.

Soweit die überlieferte Fassung dieser afrikanischen Fabel. Doch es wird gemunkelt, es gäbe noch ein zweites mögliches Ende der Geschichte:

Als der Adler im Hühnerstall den Adler am Himmel kreisen sah, erfasste ihn die Sehnsucht, es ihm gleich zu tun, selbst zu fliegen. Und er richtete sich auf, spannte seine Flügel aus, lief los, hob ab und zog fortan am Himmel majestätisch seine Kreise. Er ließ das Huhnsein für immer hinter sich und lebte seine Adlernatur.

Jetzt mögen Sie sagen: „Schön und gut, doch ich bin kein Fisch, kein Affe, kein Huhn und schon lange kein Adler. Allerdings interessiert es mich schon: Wie kann ich als Mensch meine wahre Natur erkennen, sie weiter aufgreifen und in meinem Leben zum Ausdruck bringen?“

Der Artikel „Von der inneren zur äußeren Ordnung“ gibt auf diese Frage eine mögliche Antwort.