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Das Leben durchheitern

Morgen wird es sonnig und heiter. Ja so eine Wettervorhersage hören wir doch gerne. Heiteres Wetter, das bringt gute Laune, das belebt. Und nicht nur beim Wetter. Generell bringen wir mit dem Heiteren etwas Positives in Verbindung, etwas, worüber wir uns freuen. Ja heiter, das ist leicht, humorvoll, beschwingt. Und so empfiehlt das bekannte Sprichwort:

Mach es wie die Sonnenuhr,

zähl die heit’ren Stunden nur.

Doch schauen wir in unserem Leben, da spielt die Heiterkeit oft nur eine untergeordnete Rolle. Denn allzu oft herrscht da der Ernst: wir haben zu lernen, einen Beruf auszuüben, die Familie zu ernähren und immerzu Probleme zu lösen. Da wird das Leben zum Kampf. Wo ist da Platz für Heiterkeit? Oft wird die Heiterkeit als belanglos, als nicht seriös, als unbedeutend abgetan.

Doch was ist die Ursache der Heiterkeit?

Wie entsteht Heiterkeit? Betrachten wir als Beispiel ein Gedicht von Wilhelm Busch:

Gemartert

Ein gutes Tier
Ist das Klavier,
Still, friedlich und bescheiden,
Und muß dabei
Doch vielerlei
Erdulden und erleiden.

Der Virtuos
Stürzt darauf los
Mit hochgesträubter Mähne.
Er öffnet ihm
Voll Ungestüm
Den Leib, gleich der Hyäne.

Und rasend wild,
Das Herz erfüllt
Von mörderlicher Freude,
Durchwühlt er dann,
Soweit er kann,
Des Opfers Eingeweide.

Wie es da schrie,
Das arme Vieh,
Und unter Angstgewimmer
Bald hoch, bald tief
Um Hilfe rief
Vergess‘ ich nie und nimmer.

  • Wilhelm Busch: Gedichte, S. 183 f., Diogenes Verlag AG Zürich 1974

Beim Lesen dieses Gedichts entsteht vor dem geistigen Auge unmittelbar eine konkrete Vorstellung, wie der Pianist das Klavier malträtiert. Und diese Vorstellung, dieses innere Bild stimmt uns heiter. Der Ansatz lässt sich auf andere Situationen übertragen. Er gilt generell. Und so können wir als Ursache der Heiterkeit herausstellen:

Heiterkeit resultiert aus der Vorstellung eines klaren Bildes.

Je klarer uns so ein inneres Bild ist, umso mehr erheitert es uns. Wir sehnen uns geradezu nach Bildern, die möglichst freudig, attraktiv, bunt, konkret, präzise, lebendig, umfassend und durchaus auch lustig, überraschend und mitunter auch frech sind.  

Wie können wir selbst heiter werden?

Schön und gut. Jetzt haben wir eine Ursache der Heiterkeit. Doch wie können wir jetzt selbst heiter werden? Indem wir selbst für eine Frage, für eine Aufgabe, für ein Problem eine klare Vorstellung entwickeln, wie die Frage, wie das Problem zu lösen ist! Und zwar bevor wir tätig werden. Denn haben wir so ein klares, ein realistisches, attraktives und tragfähiges Lösungsbild entwickelt, dann haben wir die Situation im Griff. Dann können wir unser Handeln mit einer freudigen Leichtigkeit und Souveränität nach dem Bild ausrichten. Dann sind wir heiter.

Jetzt verstehen Sie mich bitte nicht verkehrt. Das heißt keinesfalls, dass wir die Welt mit einer rosaroten Brille betrachten oder die Probleme und Schwierigkeiten ignorieren wollen. Ganz im Gegenteil. Indem wir mehr und mehr für eine Frage ein klares, ein konkretes Lösungsbild entwickeln, betrachten wir die Probleme gewissermaßen von einer höheren Warte aus und können sie damit leichter nehmen und sie auch erfolgreicher zu einer Lösung bringen.

Aber wie soll das konkret funktionieren? Wie können wir für unsere Fragen des Alltags ein klares Lösungsbild entwickeln? Wie können wir heiter werden?

Dafür sind wir selbst aufgefordert, aktiv zu werden. Wir haben uns die Ausgangssituation selbst anzuschauen und uns die Frage zu stellen: was macht die Situation aus? Was ist eine angemessene Lösung? Und so schauen wir, fragen, prüfen, klären und verbessern, fragen noch einmal, passen an und schauen wieder. Dabei entsteht ein erstes Lösungsbild. Weiter greifen wir gezielt die Aspekte auf, die in dem Bild noch nicht klar sind, wo es Zweifel oder Fragen gibt, wo noch etwas unklar ist und schaffen für diese eine Antwort und aktualisieren das Bild. Als Resultat entsteht Schritt für Schritt eine immer konkretere, klarere, attraktivere, lebendigere Vorstellung von der Lösung. Und wir fragen weiter, prüfen, schauen und verbessern – bis wir mit dem entstandenen Bild zufrieden sind, bis es bis ins Machbare konkretisiert ist, bis wir zuversichtlich sind, dass das Bild in die Realität gebracht werden kann.

Der Prozess

Das Vorgehen lässt sich als einen zyklischen Prozess beschreiben, in dem für eine Frage eine Lösung entwickelt wird. Dabei wird der Zyklus solange durchlaufen, bis ein klares inneres Bild entstanden ist.

  1. Die Eingangsfrage klären, für die eine Antwort zu entwickeln ist
  2. Tätigwerden, um die Frage zu beantworten also z.B. etwas klären, etwas auf den Punkt bringen, eine Situation erfassen, einen Entschluss treffen, etwas tun und so weiter.
  3. Das Lösungsbild entwickeln, ergänzen und betrachten
  4. Das Bild prüfen, neue Detailfragen und Zweifel identifizieren
  5. Ist das Bild gut, dann ist der Prozess beendet
  6. Im anderen Fall ist zu planen, welche Detailfrage in dem nächsten Zyklus aufgegriffen und zur Antwort gebracht wird.

Zu Anfang des Prozesses ist das Vorgehen durchaus mühsam und schwer, da die Situation wesentlich durch die Probleme und Schwierigkeiten geprägt ist. Doch ist ein erster Ansatz für das Lösungsbild geschaffen, dann erfasst die Beteiligten mehr und mehr eine innere Freude und Heiterkeit, da das Bild immer klarer wird, und die Fragen und Zweifel immer mehr aus dem Wege geräumt werden.

Der Prozess erinnert an das Auflösen des Morgennebels durch die Sonne. Zu Anfang liegt die Landschaft im Nebel und die Konturen sind nur schemenhaft wahrzunehmen. Doch mit dem Aufstieg der Sonne lichtet sich der Nebel, die Landschaft erscheint in einem immer klareren Bild, bis sie schließlich in allen ihren Details vom Sonnenlicht durchflutet wird. Dann ist das Ziel erreicht. Dann haben wir unser Lösungsbild und können frohgemut daran gehen, es in die Realität zu bringen.

Thomas Mann hatte für dieses Vorgehen ein schönes Wort geschöpft: durchheitern. Indem wir mehr und mehr Klarheit in das innere Bild bringen, durchheitern wir einerseits das Bild und andererseits werden auch wir selbst durchheitert, denn die Last der Frage oder des Problems fällt immer mehr von uns ab und wird ersetzt durch die immer klarere und konkretere Vorstellung.  

Jetzt hatte Thomas Mann dieses Durchheitern auf seine künstlerische Tätigkeit als Schriftsteller bezogen. Doch wir können dieses Durchheitern übertragen auf die Lösung unserer ganz alltäglichen Aufgaben. Dann werden wir Künstler des Alltags. Und nicht nur für uns alleine. Das geschilderte Vorgehen funktioniert auch prima im Miteinander.

Also, fangen wir an!

Schöpfen wir attraktive und tragfähige Lösungen für unsere Fragen und Probleme. Durchheitern wir unser Leben!

Dabei fange jeder bei sich und in seinem direkten Umfeld an und, wenn sich die ersten Erfolge eingestellt habe, lassen wir die Kreise größer werden: in der Familie, mit den Freunden und Kollegen, im Verein, beim Kunden und schließlich wagen wir uns an die drängenden Probleme in unserer Gesellschaft und auf unserem Planeten. Mehr und Mehr wächst dabei das Zutrauen in unsere eigenen Möglichkeiten, in unsere eigenen Schöpferkräfte. Und gleichzeitig entwickeln wir selbst eine immer heiterere Einstellung zu unserem Leben. Wir werden Künstler des Alltags. Schließlich strahlen wir die Heiterkeit aus. Dann tragen wir die Heiterkeit in unseren Herzen.

Und das belebt. Das gesamte Leben wird freudiger, leichter, unbeschwerter und gleichzeitig aktiver. Denn die Heiterkeit stärkt unsere Lebenskräfte, sie befreit unsere verborgenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, sie macht uns vital und aktiv – oder wie Jean Paul es ausdrückte:

Heiterkeit des Herzens schließt wie der Frühling
alle Blüten des Inneren auf.

Jean Paul