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Wie kann ich wesentlich werden?

In diesem Dialog gehen Xanthippe und Sokrates der Frage nach: Wie kann jetzt jeder Einzelne konkret das Wesentliche in seinem Leben herausfinden, um es dann in den unterschiedlichen Situationen zu einem befreienden Ausdruck zu bringen?

Xanthippe: Sokrates, jetzt haben wir ja schön herausgearbeitet, wie die Ausrichtung auf das Wesentliche unser Leben bereichern kann. Doch es stellt sich die Frage: Wie kriegen wir das Ganze in unseren Alltag? Wie können wir unsere täglichen Situationen ganz konkret nach dem Wesentlichen gestalten.

Sokrates: Der Ausgangspunkt ist, dass wir uns einen ersten Eindruck davon verschaffen, was für uns das Wesentliche ist. Also was meine zentrale Persönlichkeitseigenschaft ist, die in mir zu einem Ausdruck gebracht werden möchte.

Xanthippe: So eine Art Initiation.

Sokrates: Genau. Dafür gibt es jetzt verschiedene Methoden. Die einen beten oder meditieren. Andere machen Yoga oder rauchen wilde Kräuter. Bei den Naturvölkern gehen die Jugendlichen eine Zeit alleine in den Wald. Oder in der Kirche haben wir die Kommunion oder Konfirmation.

Xanthippe: Und was schlägst Du vor?

Die Natur macht es uns vor

Sokrates: Ich schaue mir Tierbilder an, in denen eine Eigenart in einem gewissen Extrem verkörpert wird, die in mir selbst auch deutlich ausgeprägt ist. So nutze ich die Tierbilder wie einen Spiegel, der mir Teile meines eigenen Wesens aufzeigen kann. Betrachten wir ein Beispiel: einen Hund und fragen uns: was ist das Wesentliche des Hundes?

Xanthippe: Ja das Wesentliche eines Hundes ist sicherlich das Schnüffeln. Und hat er einmal eine Fährte aufgespürt, dann lässt er auch so leicht nicht locker, bis er das Ziel erreicht hat.

Sokrates: So geht er einer Sache mit einer gewissen Ausdauer, Konzentration und Zielstrebigkeit auf den Grund. Jetzt können wir weiter herangehen und diese Eigenschaft auf uns Menschen übertragen. (Für die Betrachtung weiterer Tierbilder siehe: Werde, der Du werden kannst)

Wie können wir die Eigenschaften des Hundes auf uns Menschen übertragen?

Xanthippe: Hm, dabei haben wir doch gar nicht diesen ausgeprägten Geruchsinn wie die Hunde.

Sokrates: Stimmt. Doch die Eigenschaften, mit denen der Hund einer Fährte aufspürt und folgt, können wir trotzdem auf uns Menschen übertragen.

Xanthippe: Ah ja. Du meinst zum Beispiel die Neugier und das Interesse, mit dem er eine Spur ausmacht, sowie die Beharrlichkeit und Zielgerichtetheit, mit der er die Spur weiterverfolgt.

Sokrates: Genau. Und fragen wir uns jetzt: Was ist die wesentliche Eigenschaft eines Hundes? Warum schnüffelt er?

Xanthippe: Es ist wohl das Ergründen des für ihn Wesentlichen.

Sokrates: Ja das ist es! Doch wenn wir diese Eigenschaft jetzt auf uns Menschen übertragen wollen, dann müssen wir uns eingestehen – so ein fein entwickeltes Riechorgan wie ein Hund haben wir nun einmal nicht. Doch wie können wir die Fertigkeiten des Hundes trotzdem zum Ausdruck bringen?

Xanthippe: In dem wir Fragen stellen! Wir riechen nicht, wir schnüffeln nicht. Sondern wir fragen. Und mit den Fragen zeigen wir unsere Neugier und unser Interesse an einer Sache.

Sokrates: Genau. Die Fragen sind unsere Methode, wie wir Menschen das Wesentliche ergründen können. Und mit den Antworten, die wir auf unsere Fragen entwickeln, dringen wir mehr und mehr zum Kern einer Sache vor.

Xanthippe: Und diese Eigenschaft können wir jetzt in den täglichen Situationen zum Ausdruck bringen.

Wir Menschen haben zu lernen

Sokrates: Alles der Reihe nach. Jetzt haben wir erst einmal die Initiation, jetzt wissen wir, was wir zum Ausdruck bringen wollen. Und nun müssen wir daran gehen, diese Eigenschaft mehr und mehr zu entwickeln. Denn beim Hund ist das Schnüffeln ein reiner Instinkt, der ihm quasi von Geburt an mitgegeben ist. Wollen wir Menschen das Wesentliche ergründen, so haben wir die Fertigkeit des Fragens zu erlernen.

Xanthippe: Und dabei können wir uns die Eigenschaften des Hundes zum Vorbild nehmen.

Sokrates: Ja durchaus. Doch vor allem haben wir die Fertigkeit des Fragens zu erlernen. Speziell des Hinterfragens: Wieso? Warum? Weshalb? Und zwar so, dass wir dabei den Kern einer Sache zielsicher aufspüren. (siehe auch: Gute Antworten entwickeln)

Xanthippe: Um unsere Fragetechnik jetzt in einer Situation anzuwenden, sollten wir im Kleinen anfangen. Vielleicht mit dem Partner, doch auf jedem Fall in einer vertrauten Umgebung. Denn machen wir uns nichts vor – zuerst wird es nicht so recht klappen.

Sokrates: Ja wir werden stolpern und uns verhaspeln. Doch wir haben dran zu bleiben, aus den Fehlern zu lernen und mit den gesammelten Erfahrungen können wir immer leichter das Wesentliche durch gezielte Fragen ergründen.

Xanthippe: Und mit der Zeit klappt es immer besser. Es fällt uns immer leichter durch das gezielte Fragen das Wesentliche in einer Situation aufzuspüren.

Sokrates: Schließlich entwickeln wir eine Art Sinn für das Wesentliche, der uns leitet, den Kern einer Sache sicher zu erkennen.

Xanthippe: Und mit den gesammelten Kenntnissen können wir die Kreise größer werden lassen und sie in anspruchsvolleren Aufgaben einsetzen: in der Familie, bei Freunden, im Verein, bei der Arbeit,  ….

Sokrates: Es ist ein Wechselspiel: einerseits reift bei uns die Vorstellung des Wesentlichen, also in unserem Beispiel wie wir etwas ergründen, und damit können wir die Fertigkeiten immer leichter, freudiger und souveräner in unseren Aufgaben einbringen. Und mit den dabei gesammelten Erfahrungen wird unsere Vorstellung wieder klarer und konkreter.

Xanthippe: Und in der Folge werde ich zu einer immer freieren und eigenständigeren Persönlichkeit. Rainer-Maria Rilke hatte es in einem Gedicht schön ausgedrückt.

Sokrates: So werden wir uns unseres Selbst immer bewusster.

Xanthippe: Und dafür braucht es stets eine geeignete Aufgabe, die wir weiter und weiter vervollkommnen, und an der wir zugleich reifen. Dabei ist für mich das Jonglieren lernen ein passendes Leitbild, um das Vorgehen zu veranschaulichen.