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Schöpferisches Sein

Wie können wir schöpferisch werden? Wie können wir unsere eigenen Lösungen und Vorstellungen für unsere Fragen und Themen entwickeln, so dass es für uns wirklich passt – abseits der üblichen 08/15 Lösungen und dem vorgegebenen Mainstream? In diesem Artikel wird ein Prozess vorgestellt, mit dem wir Schritt für Schritt attraktive und tragfähige Antworten für unsere Fragen schöpfen können.

Wie bequem ist es doch, im Supermarkt in die Tiefkühltruhe zu schauen und das passende Fertiggericht einzukaufen. Zu Hause braucht es nur noch erhitzt zu werden, und schon können wir uns an den Tisch setzen und essen. Praktisch. Das geht schnell, ist einfach, und meistens schmecken die Gerichte auch lecker. Wer kommt denn da noch auf die Idee, selber zu kochen?

Und dennoch. Wenn es etwas Besonderes geben soll, dann greifen wir lieber selbst zum Kochlöffel, dann geben wir uns nicht mit dem Fertiggericht zufrieden. Dann wollen wir für unsere Gäste oder für die Familie selbst etwas zubereiten, etwas Gutes, etwas, das unseren eigenen Vorstellungen entspricht. Anstatt das fertige Essen aufzuwärmen, werden wir selbst aktiv.

Wir fragen uns: Mit was möchte ich meine Liebsten erfreuen? Was schmeckt ihnen so richtig gut? Da wird in den Kochbüchern gestöbert, da werden die alten Familienrezepte aus der Ecke gekramt, bis wir uns schließlich durchgerungen haben, was es denn zu essen geben soll. Weiter fragen wir uns: welche Zutaten braucht es für das Essen? Der Einkaufszettel wird geschrieben, die Sachen besorgt, bis wir alles im Hause haben, um das leckere Essen zuzubereiten. Sodann stellen wir uns in die Küche, putzen das Gemüse, braten das Fleisch an, machen und tun. Dabei ist durchaus unser Geschick gefragt, damit die Sache auch gelingt. Wir sind vollauf mit dem Kochen beschäftigt, bis der Besuch dann kommt. Dann geht’s zu Tisch. Dann greifen alle berherzt zu, und in einer viertel Stunde ist das Essen verputzt.

Ist das nicht total bescheuert?

Doch halt! Warum kochen wir selber das Essen? Ist das nicht total bescheuert? Ist das nicht nur eine Mühe, eine lästige Arbeit, eine Zeitverschwendung? Doch jeder, der schon einmal ein Essen selbst gekocht hat, weiß, wie belebend es ist, sich Gedanken zu machen, womit er anderen eine Freude bereiten kann. Wie belebend es ist, sich konkret die Frage zu stellen: wie kann ich das Essen zubereiten, so dass es gut wird? Und zu guter Letzt  ist es eine Genugtuung, wenn wir sehen, wie das Essen schmeckt und die Mahlzeit für alle zu einer Freude wird.

Und diese Freude, diese Genugtuung, kann sich bei einem Fertiggericht nicht einstellen. Dabei mag das Fertiggericht durchaus lecker sein. Doch wenn wir das Essen selbst zubereiten, dann treten wir in eine aktive Beziehung mit den Zutaten, mit dem Essen und mit den Menschen, für die wir kochen. Im Bewusstsein dieser Beziehungen bereiten wir mit Hingabe das Essen. Dahinter tritt das was wir kochen fast schon in den Hintergrund. Denn dann braucht es überhaupt nicht das Großartige, das möglichst aufwendige oder exquisite Essen zu sein. Nein. Es genügen ganz einfache Gerichte – Pellkartoffeln mit Quark, Spaghetti Bolognese, Eier in Senfsauce, … Indem wir das Essen bewusst zubereiten, wird es mehr als die erforderliche Nahrungsaufnahme, es wirkt belebend und wird zu einer Freude.

Wenn wir auf diese Weise selbst ein Essen kochen, werden wir schöpferisch. Wir geben uns dann nicht mit dem Erstbesten zufrieden, sondern werden selbst aktiv und bereiten das Essen so zu, dass es unseren eigenen Vorstellungen und der Situation möglichst gut entspricht. Das Vorgehen lässt sich in einem Prozess beschreiben.

Der schöpferische Prozess

In dem Prozess wird für eine gestellte Frage oder eine Aufgabe eine attraktive Antwort gefunden. Wobei wir uns nicht mit der erstbesten Antwort zufriedengeben, sondern solange an der Antwort arbeiten und feilen, bis sie für uns attraktiv ist, bis sie für uns passt.

  1. Dafür ist zuerst die Eingangsfrage zu finden, für die eine Antwort zu entwickeln ist.
  2. Dann schöpfen wir für die Frage eine Antwort. Dafür werden wir tätig, indem wir z.B. etwas tun, etwas klären, etwas auf den Punkt bringen, eine Situation erfassen, einen Entschluss treffen oder was immer die Frage erfordert.
  3. Als Resultat entsteht ein Lösungsbild, das wir betrachten.
  4. Das Bild ist zu prüfen und neue Detailfragen, Unklares und Zweifel zu identifizieren.
  5. Ist das Bild gut, dann haben wir die Lösung, und der Prozess ist beendet.
  6. Andernfalls ist zu planen, welche der offenen Detailfragen in dem nächsten Zyklus aufgegriffen und zu einer Antwort gebracht wird. Dann geht es wieder ans Schöpfen. Der Kreisprozess wird solange durchlaufen, bis ein klares Bild entstanden ist, bis alle wesentlichen Fragen beantwortet sind.

Dabei mögen die ersten Schritte in dem Prozess durchaus mühsam und schwer sein, wenn die Situation unklar und maßgeblich durch Probleme und Schwierigkeiten geprägt ist. Doch sobald ein erster Ansatz für das Lösungsbild geschaffen ist, erfasst die Beteiligten mehr und mehr eine innere Freude und Heiterkeit. Denn das Bild wird immer klarer, indem die offenen Fragen, die Ungewissheiten und Zweifel konkret aufgegriffen und immer mehr gelöst und aus dem Wege geräumt werden. Wie Puzzleteile fügen sich die einzelnen Antworten zu einem geordneten Gesamtbild zusammen, bis schließlich Klarheit herrscht, bis wir die Lösung haben, bis das Ziel erreicht ist.

Das Leben durchheitern

Jetzt können wir diesen Prozess anwenden für das Essenkochen, doch er lässt sich übertragen auf alle möglichen Fragestellungen, bei denen wir uns nicht mit der erstbesten Antwort zufriedengeben wollen. Wie Thomas Mann, der sich von dem Ideal leiten ließ, in seinen Texten ein möglichst klares Bild zu vermitteln [1]. Dafür merzte er alles Schwere und Komplizierte in seinen Texten aus, um die Lektüre für den Leser möglichst leicht, mühelos und heiter zu gestalten. Für das Vorgehen schöpfte er ein schönes Wort: durchheitern. Betrachten wir ein Beispiel aus seiner Erzählung: Ein Tod in Venedig, wo ihm dieses Durchheitern trefflich gelungen ist [2]:

Einer, in hellgelbem, übermodisch geschnittenem Sommeranzug, roter Krawatte und kühn aufgebogenem Panama, tat sich mit krähender Stimme an Aufgeräumtheit vor allen anderen hervor. Kaum aber hatte Aschenbach ihn genauer ins Auge gefasst, als er mit einer Art von Entsetzen erkannte, dass der Jüngling falsch war. Er war alt, man konnte nicht zweifeln. Runzeln umgaben ihm Augen und Mund. Das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar unter dem farbig umwundenen Strohhut Perücke, sein Hals verfallen und sehnig, sein aufgesetztes Schnurbärtchen und die Fliege am Kinn gefärbt, sein gelbes und vollzähliges Gebiss, das er lachend zeigte, ein billiger Ersatz, und seine Hände, mit Siegelringen an beiden Zeigefingern, waren die eines Greises. Schauerlich angemutet sah Aschenbach ihm und seiner Gemeinschaft mit den Freunden zu. Wussten, bemerkten sie nicht, dass er alt war, dass er zu Unrecht ihre stutzerhafte und bunte Kleidung trug, zu Unrecht einen der ihren spielte?

Ja, da entsteht eine lebendige Vorstellung! Und dabei greift Thomas Mann voll in den reichen Werkzeugkasten der deutschen Sprache, um ein möglichst lebendiges und farbiges Bild zu vermitteln.

Voraussetzungen und Knackpunkte

Jetzt hört sich das ja alles ganz einfach an. Doch fragen wir uns: was sind die Voraussetzungen, dass dieser Schöpfungsprozess funktioniert? Was sind die Knackpunkte die auf dem Weg zu überwinden sind?

Zuerst braucht es natürlich die Zuversicht, dass wir die gestellte Aufgabe aus unseren eigenen Kräften bewerkstelligt können. Und insbesondere brauchen wir diese Zuversicht, wenn sich uns Hindernisse bei der Verwirklichung in den Weg stellen. Da ist immer wieder zu schauen, wie diese Hindernisse zu überwinden sind, wie das Ziel erreicht werden kann. Doch bitte, nicht im Kampf gegen die Hindernisse, nicht im Widerstand, sondern auf einer leichten, auf einer spielerischen, auf einer heiteren Weise: wir versuchen dies, wir versuchen das, bis sich ein Lösungsweg eröffnet, bis wir eine klare Vorstellung entwickelt haben, die sich als Puzzleteil mit in das Gesamtbild fügt. Und mit jedem Schritt wird das Bild klarer, wächst die Freude, dem Ziel näher zu kommen, wächst die Zuversicht, das Ziel erreichen zu können.

Doch dabei versperrt uns häufig unser forcierter Wille den Weg. Denn unsere eigenen Vorstellungen, wie wir das Ziel erreichen wollen, verhindern allzu leicht, dass wir uns auf die konkrete Situation wirklich einlassen. Wir machen dann nicht das, was die Situation erfordert, sondern das, was wir meinen. Und diese Meinung führt häufig zu Verkrampfungen und Konflikten, wenn sie nicht so recht zu der Situation passt. Lassen Sie es mich an einer Geschichte illustrieren:

Tagetes

Sobald die Schneeglöckchen verblüht sind, die Buschwindröschen, Primeln und Narzissen ihre Knospen zeigen, juckte es Vatern in den Fingern. Der Garten ruft! Die Rosen wollen zurückgeschnitten sein, der Boden aufgelockert. Aber ein rechter Gärtner möchte auch was wachsen sehen, was aufziehen. Für die Aussaat im Garten ist es noch zu früh, aber im Hause, da lassen sich schon erste Sommerblüher vorziehen. Auf den Fensterbänken in Wohnzimmer, Schlafzimmer und auf der Toilette standen die Saatschalen und anschließend die zahlreichen Blumentöpfe mit den pikierten Pflänzchen – hauptsächlich Tagetes der verschiedensten Arten. Im Mai, nach den Eisheiligen verpflanzte Vatern die Tagetes dann hinaus in den Garten.

Muttern gefiel das überhaupt nicht. All diese Töpfe und Schalen auf den Fensterbänken! Da ließ sich nicht einfach mal das Schlafzimmer- oder Toilettenfenster aufreißen, immer waren zuerst die Tagetes aus dem Weg zu räumen. Lästig! Nein, das wollte Muttern im Hause nicht mehr haben!

In seiner Not fiel Vatern mein Frühbeetkasten ein, in dem Sommers die Kakteen standen. Er versprach mir: „Nach den Eisheiligen, da sind die Tagetes alle in den Garten verpflanzt und die Kakteen können in den Kasten.“ Leichtfertig willigte ich ein. Doch stellte sich heraus, dass Vatern eine ganz eigene Sicht von den Eisheiligen hat. Die kalendarischen Eisheiligen beginnen am 11. Mai mit dem heiligen Mamertus und enden am 15. Mai mit der kalten Sophie. Wann Vaterns Eisheilige anfangen, das weiß ich nicht, sie erstrecken sich jedenfalls bis weit in den Juni hinein – denn erst dann hatte er die Tagetes alle ausgepflanzt und solange standen meine Kakteen halt im dunklen Keller.

Als ich bei meinen Eltern auszog, vertraute ich Vatern die Pflege der Kakteen an. Doch ich hätte es ahnen sollen – in einem Jahr vergaß er die Kakteen im Herbst in den Keller zu holen. Das Gerangel um die Nutzung des Frühbeetkastens hatte ein Ende. Aber dann säte Vatern die Tagetes einmal nach den Eisheiligen direkt in den Garten aus und musste feststellen, dass diese zwar später blühen als die vorgezogenen, jedoch viel kräftigere und blühwilligere Pflanzen ausbilden. Denn die vorgezogenen Tagetes strecken sich auf der Fensterbank oder im Frühbeetkasten immer so nach dem Licht, bekommen lange Stiele und werden spidderich. Seitdem sät Vatern die Tagetes immer direkt ins Beet aus. Ist ja auch viel bequemer.

Wir stehen uns selbst im Weg

Ja so stehen wir uns häufig selbst im Weg, um eine gute Lösung zu finden. Und an dem Beispiel sehen wir auch: für den Prozess braucht es durchaus einen langen Atem. Denn wir finden die Lösungen nicht fertig abgepackt im Supermarktregal, sondern wir entwickeln sie für uns selbst. Wir packen uns sozusagen am eigenen Schopf und ziehen uns mit eigener Kraft aus dem Sumpf – so wie seinerzeit der Baron von Münchhausen. Und diese Entwicklung braucht Zeit.

Die treibende Kraft in dem gesamten Prozess ist die Hingabe, die Liebe mit der wir mit der Situation, mit uns und mit den beteiligten Personen in Beziehung treten, um die Lösung zu entwickeln und sie immer weiter zu verbessern, bis sie wirklich gut ist. Das funktioniert jedoch nur, wenn uns die gestellte Frage wichtig ist, wenn es uns eine Herzensangelegenheit ist, eine Sehnsucht. Dann werden wir bereit, den Aufwand auf uns zu nehmen, um eine gute, eine passende Antwort zu finden. Und gleichzeitig werden wir dann leichter bereit, unsere alten Vorstellungen und Gewohnheiten loszulassen. Zu guter Letzt sollten wir uns der Aufgabe möglichst ohne allzu großem Zeitdruck oder sonstigen äußeren Zwängen widmen können.

Werde schöpferisch!

Mit der beschriebenen Art und Weise haben wir Menschen es selbst in der Hand, unser Leben schöpferisch und heiter zu gestalten, indem wir attraktive Lösungsbilder für unsere Fragen und Probleme entwickeln. Also werden Sie schöpferisch! Durchheitern Sie Ihr Leben! Sei es etwa beim Kochen, bei der Arbeit im Garten, im Büro oder in der Werkstatt, beim Renovieren des Wohnzimmers, beim Malen eines Bildes, in einem Gespräch oder auch beim Aufräumen, beim Abwaschen oder was immer Ihnen gefällt. Und nicht nur für sich alleine. Das geschilderte Vorgehen funktioniert auch prima im Miteinander.

Ihnen erscheint der geschilderte Weg als recht mühsam und beschwerlich? Sie fragen sich: wie passt dieser Prozess des Durchheiterns mit dem leichten, freudigen Leben im Hier und Jetzt zusammen? Denn wir wollen doch locker und heiter sein. Wir wollen doch munter Quinquillieren wie die Vögel.

Doch halt. Vögel Quinquillieren nach einem instinktiv vorgegebenen Programm, das sie quasi von Geburt an prägt. Wenn wir Menschen Quinquillieren wollen, können wir nicht auf so ein instinktives Programm zurückgreifen wie die Vögel. Stattdessen haben wir das Quinquillieren zu erlernen. Denn im Gegensatz zu den Instinkten der Tiere haben wir Menschen unser Bewusstsein, das uns die großartige Möglichkeit bietet, das zu erlernen, was wir wollen und die Situationen danach so zu gestalten, wie wir wollen. Das aktive Bewusstsein macht uns Menschen zu Herren der Lage. Doch dafür haben wir bewusst zu werden, indem wir eine konkrete Vorstellung, ein klares Bild davon entwickeln, was wir in eine Situation einbringen und wie wir sie entsprechend ausrichten wollen. Oder wie Rudi Carell es treffend ausdrückte [3]:

Witze kann man nur aus dem Ärmel schütteln,

wenn man sie vorher hineingesteckt hat.

Rudi Carell

Sorgen wir dafür, dass stets etwas in unserm Ärmel steckt!

Also sorgen wir dafür, dass stets etwas in unseren Ärmeln steckt, nach dem wir die täglichen Situationen gestalten und beleben können. Und dabei ist der schöpferische Prozess sehr hilfreich. Indem wir diesen Prozess für eine Fragestellung bewusst durchleben, werden wir immer mehr zu aktiven Gestaltern des Hier und Jetzt – bis wir schließlich munter, locker und spontan Quinquillieren können. So werden wir zu Künstlern des Alltags. Schließlich wird die Heiterkeit Teil unserer Persönlichkeit. Dann strahlen wir die Heiterkeit aus. Dann tragen wir das entwickelte innere Bild in unserem Herzen.

Und das belebt. Das gesamte Leben wird freudiger, bunter, leichter, gelöster und gleichzeitig aktiver und erfolgreicher. Denn die Heiterkeit stärkt unsere Lebenskräfte, sie befreit unsere verborgenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, sie macht uns vital und aktiv – oder wie Jean Paul es ausdrückte [4]:

Heiterkeit des Herzens schließt wie der Frühling
alle Blüten des Inneren auf
.

Jean Paul

Vielleicht konnte ich Ihnen mit diesem Artikel eine kleinen Stubbs geben, Ihr eigenes Leben schöpferischer und damit freudiger und heiterer zu gestalten. Es würde mich freuen.

Quellen

  1. Axel Hacke: Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten; Dumont Verlag, Köln, 2023; S. 166ff.
  2. Thomas Mann: Der Tod in Venedig, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 1954, S. 22
  3. Rudi Carell: Witze kann man nur dann aus dem Ärmel schütteln, wenn man sie… (gutezitate.com)
  4. Jean Paul: Heiterkeit des Herzens schließt wie der Frühling alle Blüten… (gutezitate.com)