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Die seelischen Bedürfnisse

Unser Verhalten wird maßgeblich durch Bedürfnisse bestimmt. Dabei sind zwei Arten von Bedürfnisse zu unterscheiden: Einerseits, was wir wollen, und dann noch wie wir etwas machen wollen. Lassen Sie uns dieses „Was“ und „Wie“ genauer betrachten:

Was will ich? Von der Antwort auf diese Frage verspreche ich mir einen unmittelbaren Vorteil. So wollen wir etwas zu essen haben, ein Smart Phone, ein Auto oder aber auch, dass wir körperlich fit und gesund sind. Die Frage richtet mich aus, sie motiviert mich. So schaue ich mit einem fordernden Blick in die Welt hinaus und prüfe, ob und wie ich das, was ich sehe, zu meinem Vorteil, für meine eigenen Interessen nutzen kann. Für die Beantwortung der Frage richte ich mich nach Außen aus. Ich suche äußere Werte, um das Bedürfnis zu befriedigen. So können wir diese Bedürfnisse auch als nach außen gerichtete Bedürfnisse bezeichnen, oder schlicht als äußere Bedürfnisse.

Im Gegensatz dazu richtet uns die Frage „Wie können wir unser Bedürfnis verwirklichen?“ nach Innen aus. Die Frage spricht unsere Persönlichkeitseigenschaften an, die wir aufgreifen und mit einbringen können, um zu einer Antwort zu gelangen. Dabei sind unsere prägenden Persönlichkeitseigenschaften direkt mit dem tiefen Bedürfnis verbunden, diese auch ausleben zu wollen. Diese Sehnsucht entspringt aus unserer tiefen inneren Natur, aus dem, was uns als Person wirklich ausmacht. Um sie zu befriedigen, richten wir uns nach inneren Werten aus, nach Werten die unserer Persönlichkeit entsprechen. So können wir diese Bedürfnisse als nach innen gerichtete Bedürfnisse oder seelische Bedürfnisse bezeichnen.

Um unseren Alltag zu meistern, haben die äußeren und inneren Bedürfnisse zusammenzukommen. Betrachten wir ein Beispiel: drei Personen sitzen um einen Tisch und in der Mitte liegt ein Apfel. Jeder der Anwesenden hat jetzt das äußere Bedürfnis, den Apfel zu bekommen. Jeder will den Apfel haben. Doch wenn wir uns jetzt nur von dem leiten lassen, was wir wollen, dann betrachten sich die drei Personen sofort  als Konkurrenten. Denn alle drei wollen ja den Apfel haben und es liegt nun mal nur einer auf dem Tisch. Auf dieser Ebene, kommen wir wohl nicht zu einer gütlichen Lösung. Vielleicht kommt es zu einem Streit und der Gewinner isst den Apfel, während die Verlierer leer ausgehen und schmollen.

Berücksichtigen wir jetzt das seelische Bedürfnis und fragen wir uns: Wie können wir das Dilemma lösen? Vielleicht teilen die Personen den Apfel, vielleicht geht einer einkaufen oder in den Garten und holt noch weitere Äpfel, so dass jeder einen bekommen kann oder vielleicht fällt den dreien noch eine ganz andere Lösung ein. Wie auch immer. Indem wir nicht an den äußeren Bedürfnissen verhaften, sondern uns fragen: wie können wir gemeinsam die Situation lösen, so dass es für jeden passt, schaffen wir einen Bezug zum Miteinander. Die gemeinsam gefundene  Lösung verbindet die Anwesenden. Sie ist nicht materiell. Wir können sie nicht in die Hand nehmen. Es ist kein äußerer Wert. Die Lösung ist ein Gedanke, ein innerer Wert und liefert eine Ausrichtung in der Situation, die alle Beteiligten teilen können.

Doch die seelischen Bedürfnisse sind noch weiter zu unterteilen. Es lassen sich insgesamt neun seelische Bedürfnisse unterscheiden:

  1. Der Wunsch nach Orientierung.

Es ist die Sehnsucht, eine Situation möglichst umfassend und genau wahrzunehmen, um sich darin gut zurechtzufinden. Dafür schärfen wir unsere Sinne. Wir hören, wir schmecken, wir riechen, wir schauen, wir fühlen, um uns ein Bild von der Lage zu verschaffen. Dabei sind wir interessiert und unvoreingenommen und immer wieder bereit, die Situation aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Um dies zu schaffen, ist die erforderliche Persönlichkeitseigenschaft die des Beobachters

2. Der Wunsch nach dem Wesentlichen.

Es ist die Sehnsucht, bei einer Frage oder einem Thema zum zentralen Kern vorzudringen, zu dem, was die Situation in ihrem tiefen Inneren ausmacht. Dafür nehmen wir die Situation nicht einfach als gegeben hin, sondern wir hinterfragen sie, wir prüfen sie und dringen so immer weiter zu dem Wesentlichen vor. Was hier erforderlich ist, ist  die auf den Punkt gerichtete Konzentration, wie sie etwa ein Forscher aufweist.

3. Der Wunsch nach Transzendenz.

Es ist die Sehnsucht nach einer höheren Dimension, die über unserem Menschsein liegt und uns dabei gleichzeitig ausrichtet. Man mag es Gott nennen, Brahma, Allah, Jahve oder schlicht: Jenes höhere Wesen, das wir verehren. Es ist die Sehnsucht nach Weite, nach Übersicht, nach Unabhängigkeit von den irdischen Belangen. Wir Menschen können uns dieser höheren Dimension durch Meditation, durch Kontemplation oder andere spirituelle Riten annähern. Es ist die Welt der Priester und Philosophen. Aber andererseits sind es auch die Erfinder und Mystiker, die eine geistige Einsicht, die einen Geistesblitz haben und mit diesem Gedanken unser Leben auf der Erde bereichern.

4. Der Wunsch nach Eigenständigkeit.

Es ist die Sehnsucht, sich seiner selbst bewusst zu sein, zu wissen, was das „Ich bin“ ausmacht und wie es authentisch zu einem Ausdruck zu bringen ist. Das bewusste Sein stärkt den Menschen, richtet ihn auf, macht ihn kraftvoll, erhaben, eigenständig, frei und verleiht ihm Würde und Anerkennung. In dem einen Extrem verkörpert diese Persönlichkeitseigenschaften der König, der mit weisen Entscheidungen souverän sein Land regiert. Aber andererseits kann für diese Eigenständigkeit auch der Narr stehen, der frei und unabhängig ist und sich für keine Verpflichtung einbinden möchte.

5. Der Wunsch nach Klarheit.

Es ist die Sehnsucht, einen Gedanken, eine Lösung oder die Antwort auf eine Frage soweit zu konkretisieren, bis alle Zweifel, bis alle Fragen und Eventualitäten aus dem Weg geräumt sind und so ein gut begründetes Vertrauen entsteht. Es ist die Welt des Problemlösers, der einerseits immer wieder kritisch prüft, wo etwas an einer Lösung noch nicht passt, der dann diese Kritikpunkte aufgreift, dafür neue Ideen findet, um sie auf realistische Weise mit in der Lösung zu berücksichtigen und diese weiter zu verbessern.

6. Der Wunsch nach sozialer Verbundenheit

Es ist die Sehnsucht nach sozialer Nähe, nach dem freudigen Miteinander, dem Austausch. Die Persönlichkeit, die dies entsprechend verkörpert, ist der Lebenskünstler, der in der Gemeinschaft das Leben genießt, es durch seine Art, durch die Gespräche und Handlungen bereichert und sich zusammen mit seinem Umfeld daran erfreut. Auf der anderen Seite ist es aber auch der Lehrer, der seinen Schülern etwas beibringt, etwas vermittelt, das dann ihr Leben bereichert.

7. Der Wunsch nach Neuausrichtung

Es ist die Sehnsucht nach dem Neuem, nach Veränderung, mit der wir das Alte hinter uns lassen. Um das Neue zu erreichen, haben wir eine klare Zielvorstellung zu entwickeln und den Weg dahin abzustecken. Dieses Bild ist so attraktiv, konkret und realistisch auszumalen, dass wir bereit werden das Alte, das Bekannte, das Vertraute loszulassen und den erforderlichen Platz für das Neue zu schaffen. Das erfordert einerseits Kühnheit und Mut, um sich über das Bestehende hinwegzusetzen, andererseits erfordert es Gelöstheit, um unnötige Dinge loszulassen. Die Persönlichkeit, die diese Eigenschaften verkörpert, ist der Entdecker, der Planer, der Stratege.

8. Der Wunsch nach Aktivität

Es ist die Sehnsucht zu machen und zu tun, etwas zu bewerkstelligen und zu gestalten, verbunden mit der Freude, wenn wir sehen, wie durch unser Wirken etwas entsteht. Die hier erforderlichen Persönlichkeitseigenschaften sind das Engagement, das Durchhaltevermögen, die Zuverlässigkeit, die Hingabe und die Freude etwas zu gestalten. Die Persönlichkeit, die diese am besten verkörpert, ist der Macher aber auch der Künstler.

9. Der Wunsch nach Ordnung

Es ist die Sehnsucht, dass die verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften, die aus den anderen seelischen Bedürfnissen resultieren, auf eine konstruktive Weise zusammenwirken, so dass ein gutes Resultat erzielt werden kann.  Die  Persönlichkeit, die diese am besten verkörpert, ist der Moderator, der die verschiedenen Eigenschaften zum Leben erweckt, so dass sie sich in einem bereichernden Austausch ergänzen und unterstützen.

Diese seelischen Bedürfnisse entspringen unserer tiefen inneren Natur, dem, was uns als Lebewesen ausmacht, unabhängig von unseren individuell entwickelten Vorstellungen und Ansichten. Sie bilden die Grundbedürfnisse alles Lebendigen und als solche prägen sie unsere Persönlichkeit und unseren Charakter. Sie bestimmen unser Denken, unser Fühlen und unser Handeln. Doch die seelischen Bedürfnisse sind nicht menschengemacht. Sie existieren unabhängig von uns Menschen. Sie sind übergeordnet. Universell. Wir Menschen greifen – mehr oder weniger bewusst – diese Bedürfnisse auf, bringen sie in unserem tiefen Inneren, in unserer Seele zum Leben und zu einem individuellen Ausdruck.