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Was ist die Liebe?

In diesem Artikel kommen mal wieder Xanthippe und Sokrates zu Wort. In ihrem irdischen Leben hatten sich die beiden ja reichlich gestritten. Doch im Himmel, den irdischen Bedingungen entrückt, konnten sie sich versöhnen und stellen sich im folgenden Dialog die Fragen: Was ist eigentlich die Liebe? Und wie können wir unser Miteinander liebevoll gestalten?

Xanthippe: Ach Sokrates, überall wird gestritten und gezankt. Seien es die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern, aber auch in den Unternehmen, in Verbänden, in Vereinen sowie im ganz privaten Umfeld – in der Familie, mit dem Partner.

Sokrates: Ich habe geradezu das Gefühl: die Menschen wollen streiten. Sie meinen, das müsste so sein, um ihre eigenen Interessen durchsetzen zu können und um in unserer Gesellschaft zu bestehen.

Xanthippe: Da können wir wohl ein Lied von singen, denn in unserem irdischen Leben haben wir doch auch kaum eine Gelegenheit für einen Streit ausgelassen.

Sokrates: Ja sicher. Aber wie schön wäre es doch, wenn wir Menschen in einem liebevollen, friedlichen und zugleich konstruktiven Miteinander leben könnten.

Xanthippe: Doch halt. Was ist das überhaupt – ein liebevolles Miteinander? Über die Liebe wird so viel gesprochen, und wir Menschen sehnen uns nach Liebe …

Sokrates: doch wir wissen eigentlich gar nicht, was ein liebevolles Miteinander überhaupt ausmacht und wie wir es erreichen können. Aber sag: Was verstehst Du unter Liebe?

Xanthippe: Liebe ist das großartige Gefühl, das sich einstellt, wenn zwischen Menschen eine tiefe Sympathie herrscht, so dass sie sich öffnen, ihre Grenzen überwinden und sie ein verbindendes Einheitsgefühl erfüllt.

Sokrates: Doch wie kommen wir dahin?

Xanthippe: Meistens geschieht das spontan. Doch ich glaube, wir können Liebe auch gezielt erreichen, indem wir unser Miteinander nach passenden Regeln ausrichten. Wenn wir ein wohlwollendes, sich unterstützendes und gegenseitig wertschätzendes und respektierendes Miteinander entwickeln. Und indem wir diese Regeln mehr und mehr verinnerlichen und unser Handeln danach ausrichten, dann stellt sich eine Verbundenheit ein.

Sokrates: Nein, so einfach ist das nicht! Liebe ist nicht nur eine Folge eines braven, angepassten Verhaltens. Denn da sind wir ganz gefangen in den Äußerlichkeiten. Es erinnert mich an den alten Knigge mit seinen Benimmregeln. Dann sind wir die ganze Zeit damit beschäftigt den Benimmregeln – also den von außen vorgegebenen Anforderungen – möglichst gut zu entsprechen. Die Regeln wirken wie Fesseln und das eigentliche Interesse der Beteiligten kommt meistens gar nicht zum Ausdruck. In der Folge wird das gesamte Miteinander starr und förmlich.

Xanthippe: Doch wie geht es anders?

Sokrates: Liebe kommt von Innen heraus! Liebe tritt ein, wenn wir unser eigenes Wesen erkennen, die innere Natur unseres Menschseins, und dies im Miteinander in einer konkreten Situation zu einem authentischen Ausdruck bringen.

Xanthippe: Ach komm! Was soll das denn sein: das Wesen unseres Menschseins? Das hört sich so hochtrabend an.

Sokrates: Es ist ganz einfach. Das Wesentliche unseres Menschseins ist unsere prägende Persönlichkeitseigenschaft. Also die Eigenschaft, die uns maßgeblich ausmacht. Die wir in unseren Aufgaben zu einem Ausdruck bringen möchten.

Xanthippe: Aber das ist doch etwas ganz Individuelles.

Sokrates: Ja genau, der eine Mensch lebt auf, wenn er etwas machen, etwas tun kann, ein anderer möchte etwas organisieren und planen und wieder ein anderer möchte gerne etwas vermitteln. So hat jeder Mensch eine zentrale Persönlichkeitseigenschaft – seinen Wesenskern. Und diesen Kern möchten wir in unserem Leben zu einem guten Ausdruck bringen.

Xanthippe: Und wie geht das jetzt?

Sokrates: Betrachten wir als Beispiel einen Menschen, der auflebt, wenn er in seinem Garten etwas machen kann. Das Machen, das Tun, ist sein Wesenskern. Der Garten ist die Aufgabe, bei der er den Wesenskern zu einem Ausdruck bringt. Doch das entscheidende ist die Frage nach dem Wie – also wie unser Gärtner seine Gartenarbeit ausführt – vielleicht mit Hingabe, mit Ausdauer, mit Sorgfalt. Das Wie bestimmt, wie der Gärtner seine Aufgabe erledigt, so dass es zu seiner Persönlichkeit passt, dass es für ihn zu einer Freude wird.

Xanthippe: Ja mit diesem Wie bringt der Gärtner seinen Wesenskern zu einem Ausdruck.

Sokrates: Und mit der Zeit gelingt ihm das immer besser – mehr und mehr entsteht eine Ordnung, mit der seine Arbeit ausführt. Und dabei fällt sie ihm immer leichter, wird zu einer Freude und beflügelt ihn, wenn er die Quecken gezupft hat und es im Garten üppig blüht.

Xanthippe: Dann ist er Gärtner mit Leib und Seele, dann bringt er sein Gärtnerdasein authentisch zum Ausdruck.

Sokrates: Ja dann weiß der Gärtner, was sein Wesen ausmacht und wie er es in seiner Arbeit verwirklichen kann.

Xanthippe: Dann ist er sich seines Selbst bewusst. Er kann sich selbst achten, respektieren und auch lieben.

Sokrates: Und das nennen wir dann Selbstachtung oder auch Selbstliebe.

Xanthippe: Doch wie bringen wir das jetzt ins Miteinander? Denn Liebe ist doch etwas, das die Menschen verbindet.

Sokrates: Nun, wir hatten ja bereits festgestellt, dass die Menschen unterschiedliche Wesenskerne haben und diese auch auf ganz individuelle Art und Weise in ihr Leben bringen. Und für ein gelingendes Miteinander, brauchen wir eine gemeinsame Aufgabe, in die sich jeder auf seine Art einbringen kann, damit im Zusammenwirken ein gutes Resultat entsteht.

Xanthippe: Ach was soll dieser idealistische Mumpitz? Warum sollten verschiedenartige Menschen zusammenarbeiten? Da ist doch der Streit vorprogrammiert.

Sokrates: Das muss nicht sein. Betrachte unser Beispiel mit dem Gärtner. Für ihn ist die schöne Gestaltung des Gartens eine Sehnsucht, ein Herzenswunsch. Und diesen Ansatz können wir auf unser Miteinander übertragen. Wenn wir eine gemeinsame Sehnsucht, einen gemeinsamen Herzenswunsch finden, dann werden wir auch bereit, auf die anderen zu hören. Denn sie verfolgen ja dasselbe Ziel. Doch jeder auf seine Art.

Xanthippe: Ach so. Also in unserem Gartenbeispiel: Der Gärtner gestaltet die Beete mit Hingabe, Ausdauer und einer großen Sorgfalt. Und seine Frau mag auch eine begeisterte Gärtnerin sein. Doch sie möchte etwas planen, dem Garten eine Gestalt geben. Und dafür entwickelt sie detaillierte Bilder, wie die Beete angelegt werden können und welche Pflanzen gut zusammenpassen.

Sokrates: Sie plant, er macht. Und darüber hinaus haben beide das verbindende Ziel, einen attraktiven Garten zu haben. So kommen ihre unterschiedlichen Eigenschaften zusammen, sie ergänzen und unterstützen sich.

Xanthippe: Und im Austausch hat sich das Ehepaar zusammenzuraufen, um eine gemeinsame Vorstellung für den Garten zu entwickeln. Und dabei finden sie immer wieder neue Ideen, was an dem Garten noch zu ändern und zu verschönern ist.

Sokrates: Dabei sind beide zu Zugeständnissen bereit. Denn es geht nicht darum, sich durchzusetzen, sondern den Garten möglichst attraktiv zu gestalten.

Xanthippe: Hinter dieses Ziel scharen sich beide. So können sie sich respektieren und wertschätzen, gerade weil sie verschiedene Beiträge zur Gartengestaltung einbringen.

Sokrates: Gemeinsam verwirklichen sie ihren Herzenswunsch, den attraktiven Garten.

Xanthippe: Beide ziehen an einem Strang – doch jeder auf seine ganz individuelle Art. Als Resultat entsteht eine Ordnung, die das Miteinander ausrichtet.

Sokrates: Doch diese Ordnung wird nicht von außen durch bestimmte Regeln vorgegeben. Stattdessen entsteht sie als Resultat eines konstruktiven Miteinanders für die spezielle Situation.

Xanthippe: Und so eine selbst entwickelte Ordnung wirkt befreiend und wird nicht als ein aufoktroyierter Zwang empfunden.

Sokrates: Doch das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: mehr und mehr entsteht durch den Austausch eine gemeinsame Vorstellung, wie der Garten zu gestalten ist. Diese Vorstellung verbindet die beiden Gärtner in ihrem Denken, Fühlen und Handeln. Sie kommen mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeitseigenschaften in einen Einklang. Es entsteht ein umfassendes, ein harmonisches Einheitsgefühl.

Xanthippe: Und dieses Einheitsgefühl nennen wir Liebe.

Sokrates: Ja genau. Das wusste übrigens schon Heraklit:

Die schönste Harmonie

entsteht im Zusammenwirken

der Gegensätze.

Heraklit