Leben einzeln und frei, wie ein Baum und dabei brüderlich wie ein Wald, diese Sehnsucht ist alt. Nazim Hikmet, Hannes Wader
So singt es Hannes Wader nach einem Gedicht des türkischen Lyrikers Nazim Hikmet. In bester sozialistischer Tradition werden in dem Lied die Umstände angeprangert und zum Kampf gegen diese aufgerufen. Und in der Verbundenheit des gemeinsamen Widerstandes wird das Miteinander kooperativ: jeder ordnet sich dem Ziel unter, bringt sich nach seinen eigenen Möglichkeiten ein und unterstützt die anderen. Alle ziehen an einem Strang.
So eint der Protest. Das ‚Dagegen‘. Doch braucht ein kooperatives Miteinander immer ein ‚Dagegen‘? Was passiert, wenn der Kampf gewonnen ist und das ‚Dagegen‘ damit wegfällt? Was tritt dann an dessen Stelle? Was wollen wir wirklich anstatt des ‚Dagegen‘? Wie können wir die Situation konkret mit unseren eigenen Mitteln verändern, so dass es für uns passt?
Ich möchte dem ‚Dagegen‘ ein ‚Dafür‘ entgegensetzen. Etwas, das wir in der konkreten Situation wirklich wollen. Das für uns attraktiv und erstrebenswert ist. Doch was mag das sein? Wir wissen es erst einmal gar nicht. Kennen es nicht. Das ‚Dagegen‘ ist leichter. Es resultiert meistens aus unserer emotionalen Reaktion, aus dem, was uns nicht passt, worüber wir unzufrieden sind, was uns ärgert, worunter wir leiden: sei es bei der Arbeit, im Verein, unter Freunden, in der Familie, in der Beziehung aber auch in der Politik, bei Fragen zur Umwelt – ach ‚Dagegen‘ können wir gegen alles und jeden in dieser Welt sein.
Und das ‚Dafür‘? Da haben wir genauer zu schauen, was wir in einer Situation wirklich wollen, was uns unter den Nägeln brennt, was unser zentrales Bedürfnis ist, das mehr zu einem Ausdruck gebracht werden möchte. Und haben wir diese Sehnsucht gefunden, dann können wir im konstruktiven Austausch dafür eine passende Lösung entwickeln. Dabei werden wir bereit, von unseren selbstbezogenen Vorstellungen abzurücken. Wir stellen sie in Frage, um sie in angemessener Weise in der Lösung zu berücksichtigen. Auch werden wir offen für die Vorstellungen der anderen, die ja auf ihre Art ebenfalls dazu beitragen, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Im Austausch entstehen neue Perspektiven und Lösungsansätze, die dann Schritt für Schritt weiter aufgegriffen werden, um sie zu einer Lösung zu bringen, die so gut ist, die so attraktiv ist, dass wir bereit werden das Alte hinter uns zu lassen und das Neue mit all seinen Konsequenzen willkommen zu heißen. Die entstehende Lösung ist das ‚Dafür‘, für das wir eintreten, das unser Miteinander eint und ausrichtet, das uns kooperativ werden lässt. Die Abbildung illustriert den Zusammenhang:
Für das Vorgehen geben uns die Guten Gespräche die nötige Orientierung und einen verlässlichen Halt. Sie beschreiben einen allgemeinen Veränderungsprozess. Doch jetzt haben wir Menschen vor jeder Art von Veränderungen erst einmal Angst, sträuben uns dagegen und widersetzen uns. Doch in den Guten Gesprächen, in dem kooperativen Austausch werden diese Ängste überwunden. Die anfänglich durchaus schwierige oder belastende Gesprächssituation öffnet sich schrittweise, bis schließlich in einem freudigen, belebenden und aufbauenden Miteinander die Situation neu gestaltet wird, so dass es für alle Beteiligte passt.
Doch es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Bevor wir uns erfolgreich den großen Aufgaben zuwenden können, haben wir erst einmal im Kleinen, im Alltäglichen zu üben: was soll es heute Mittag zu Essen geben? Es ist an der Zeit, mal wieder die Wohnung aufzuräumen! Wohin fahren wir dieses Jahr im Urlaub?… Indem wir im Alltäglichen üben, stellen wir fest, dass wir unsere Ängste vor der Veränderung durchaus aufgreifen und bewusst überwinden können. Und weiter stellen wir fest, wie bereichernd und befreiend es ist, den Alltag im kooperativen Miteinander zu gestalten. Schließlich werden wir immer sicherer: einerseits konkretisiert sich unsere Vorstellung, wie wir Gute Gespräche erfolgreich führen können, und andererseits wächst mit den gesammelten Erfahrungen unsere Zuversicht, so dass wir immer größere Aufgaben angehen können. Rainer Maria Rilke drückte diesen Zusammenhang schön aus:
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, doch versuchen will ich ihn. Ich kreise um Gott, um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausendelang. Ich weiß noch nicht, bin ich ein Falke ein Sturm oder ein großer Gesang. Rainer Maria Rilke
Schließlich wird das kooperative Miteinander für uns immer mehr zur Selbstverständlichkeit, in dem wir gute, beständige Lösungen für unsere drängenden Fragen entwickeln, und in dem wir das ‚Dafür‘ zum verbindenden Ziel für unser Miteinander machen.
So können wir sowohl mit dem ‚Dagegen‘ als auch mit dem ‚Dafür‘ zu einem kooperativen Miteinander gelangen. Die beiden Ansätze lassen sich anhand der Frage unterscheiden: Wie lösen wir das Erz aus dem Gestein?
Die eine Methode besteht darin: wir schlagen, feilen und schmirgeln das Gestein ab, und polieren dann das Erz. Die andere Methode besteht darin, das Gemenge zu erhitzen, bis das Erz flüssig wird und das gesamte Gestein als Schlacke abfällt.
Nun bei dem Feilen und Polieren, da stecken wir unsere Energie in das Gestein, in das, was wir überwinden, was wir loswerden möchten. Das Gestein ist die Grundlage unserer Tätigkeit. Dabei definieren wir unser Handeln über das, was wir gar nicht wollen und sorgen ständig selbst dafür, dass wir etwas zum Feilen haben. Das entspricht dem ‚Dagegen‘.
Wenn wir stattdessen das Gemenge erhitzen, dann stecken wir unsere Energie in das, was wir wollen. Mehr und mehr zeigt das Erz seinen wahren Charakter, bis es schmilzt und sich von der Schlacke trennt. Es kommt das zu Tage, was wir wirklich wollen und alles andere fällt ab. Dieser Ansatz entspricht dem ‚Dafür‘.
Und welcher der beiden Ansätze ist jetzt anzuwenden? Das ist mal so mal so, je nach der gegebenen Situation und natürlich entsprechend unserer individuellen Einstellung.
Eine ausführlichere Darstellung finden Sie in dem Artikel: Ein Weg zum gelingenden Miteinander