Site Overlay

Gemeinsam Lösungen entwickeln – Teil 1

Wir Menschen sehnen uns nach einem gelingenden Miteinander, in dem wir in freudiger Gemeinschaft tragfähige Lösungen für unsere tägliche Fragen entwickeln. Doch schauen wir uns um, dann scheint das eine Illusion zu sein. Stattdessen heißt es: Viele Köche verderben den Brei. Dieses Sprichwort kennt jedes Kind. Und damit wird die Frage: Wie können wir gemeinsam dafür sorgen, dass ein gutes Resultat erreicht wird, dass der Brei gut wird? oft bereits im Keim erstickt. Stattdessen hat jeder gleich reichlich Argumente parat, warum ein gutes Miteinander nicht gelingen kann.

Jetzt möchte ich Sie liebe Leserin, lieber Leser doch mal bitten, dass sie ihre Vorbehalte, warum ein gutes Miteinander nicht gelingen kann, etwas zurückstellen und mit mir stattdessen die Frage weiter aufgreifen, wie ein kooperatives Miteinander gelingen kann – also ein Miteinander in das sich jeder frei mit seinen Möglichkeiten einbringt und bei dem zugleich eine gemeinsam getragene, attraktive Lösung für die vorliegende Situation entsteht.

Schauen wir uns dafür zwei Sprichworte an. Sie mögen uns Ansätze geben, wie wir unser Miteinander gestalten können:

  • Gleich zu gleich gesellt sich gern
  • Gegensätze ziehen sich an

Doch was hat es damit auf sich? Widersprechen sich diese beiden Ansätze nicht geradezu? Alles der Reihe nach. Betrachten wir die Sprichwörter genauer, eins nach dem anderen:

Gleich zu gleich gesellt sich gern

Wenn wir uns gleich sind, dann sind wir uns einig, in dem was uns wichtig ist: wir haben dieselben Wertvorstellungen, dieselben Ansichten, dieselben Meinungen. Und wenn es Unterschiede gibt, so lassen sie sich leicht überwinden, ohne dass es dabei zu Streitigkeiten kommt. So ist in dem Miteinander von Gleichgesinnten die Welt im wahrsten Sinne in Ordnung. Das Miteinander ist getragen von einem verbindenden Konsens.

Diese Situation treffen wir auch im Tierreich an. Bei dem Schwarmverhalten. So organisieren sich zum Beispiel Fische einer Art oftmals zu einem Schwarm, seien es etwa Heringe, Makrelen oder Sardinen. Dabei achtet jeder Fisch auf den passenden Abstand zu seinen Nachbarn, folgt exakt den Richtungswechseln und richtet sich dabei mit den anderen Fischen zu einem verbindenden Schwarm aus.

Gustave le Bon hatte diesen Ansatz auf uns Menschen übertragen. In seinem Buch „Psychologie der Massen“ schreibt er:

In der Masse gleicht der einzelne Mensch einem Sandkorn in einem Haufen anderer Sandkörner,

das der Wind nach Belieben emporwirbeln kann.

Gustave Le Bon, Psychologie der Massen

In diesem Bild werden wir Menschen als gefügige und willenlose Geschöpfe betrachtet: wir ordnen uns in die Masse ein, richten unser individuelles Denken, unser Fühlen und Wollen ganz nach der Masse aus, die von außen, von der jeweiligen Führerperson nach Belieben für seine Zwecke gesteuert wird.

Sicher bietet die Masse uns ein Zugehörigkeitsgefühl. Dafür werden gezielt die Ängste, Sorgen und Gefühle angesprochen, mit denen sich dann jedes einzelne Massenmitglied identifiziert. Denken wir etwa an die raffinierten Manipulationen und Suggestionen in der Werbung, in den Medien, in der Politik. Doch auch in unserem unmittelbaren Umfeld wirken die Einflüsse: bei der Arbeit, in unserem Freundeskreis, in der Familie. Und nicht zuletzt versuchen wir selbst – also jeder Einzelne von uns – unserem Standpunkt möglichst gut durchzusetzen wobei wir oftmals zu manipulativen Mitteln greifen. Quasi überall wird auf mehr oder weniger ausgefeilter Art versucht, anderen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben, wie sie sich zu verhalten haben. Dabei sind der jeweiligen Führerperson die Interessen der einzelnen Personen in der Masse meistens völlig egal. Im Vordergrund stehen seine eigenen Interessen. Die will er durchsetzen – seine Ansicht der Masse aufoktroyieren, um einen Vorteil daraus zu erlangen. Und kann eine Führerperson die Emotionen geschickt aufgreifen, lenken und ausrichten, dann wird die Masse gefügig und reagiert nur noch auf die äußeren Gegebenheiten. Dann herrschen die Gefühle und Emotionen. Dabei ignorieren die Mitglieder der Masse völlig, was für sie selbst gut ist, was sie selbst wirklich wollen und stellen sich gar nicht die Frage, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse zu einer Lösung bringen können. Diese Eigenständigkeit wird den Einzelnen völlig abgesprochen. Der Verstand wird abgemeldet.

Le Bon veröffentlichte sein Buch im Jahre 1895, doch seine Aussagen erscheinen heute noch genauso aktuell wie seinerzeit.

Jetzt haben wir uns hier aber das Ziel gesetzt, kooperativ zu sein. Und um kooperativ zu sein, können wir uns nicht als Teil einer gefügigen Masse betrachten. Stattdessen ist jeder Einzelne gefordert, sich mit seinen eigenen Vorstellungen und Ansichten aktiv in das Miteinander einzubringen. Doch wie kommen wir dahin?

Betrachten wir noch einmal das Beispiel mit den Fischen. Fragen wir konkret: Warum organisieren sich die Fische zu einem Schwarm? Was haben sie davon? Der Vorteil ist der verbesserte Schutz gegen Fressfeinde. Denn in dem Schwarm kann der Fressfeind nicht so leicht seine Beute fixieren und seine Jagd gezielt auf einen Fisch ausrichten. Der Schwarm verwirrt ihn und die Jagd bleibt häufiger erfolglos, als wenn jeder Fisch für sich alleine schwimmt. Der Schwarm bietet Schutz.

Wir können dieses Schwarmverhalten als Antwort auf die übergeordnete Frage sehen: wie können sich die Fische gegen ihre Fressfeinde schützen? Doch die Fische sind sich dieser Frage nicht bewusst und sie sind sich auch des Vorteils nicht bewusst, den ihnen der Schwarm bietet. Sie folgen mit ihrem Schwarmverhalten einem rein instinktiv angelegten Programm.

Im Gegensatz zu uns Menschen. Wir können in unserem Miteinander nicht auf ein bestehendes instinktives Programm zurückgreifen. Stattdessen haben wir unser Bewusstsein. Wir Menschen haben die großartige Möglichkeit, uns gezielt die Frage zu stellen: was will ich? Und weiter: wie kriege ich das hin? Und ist allen Beteiligten in einer Gruppe dieselbe Frage wirklich wichtig, dann haben sie ein gemeinsames Ziel, dann können sie im Miteinander eine passende Lösung entwickeln. Jeder Einzelne fragt sich dabei: Was kann ich dazu beitragen, um das Ziel zu erreichen? So arbeiten alle Hand in Hand, tauschen sich aus, inspirieren sich gegenseitig, finden neue Ideen und Ansätze, die sie weiter zu einer attraktiven und tragfähigen Lösung konkretisieren. Es entsteht eine verbindende Vorstellung, von der Lösung für die Situation, und außerdem entsteht für jeden Einzelnen eine konkrete Vorstellung, wie er sich bei der Entwicklung der Lösung konstruktiv mit einbringen kann. Alle wollen gemeinsam das gleiche Ziel erreichen und jeder bringt sich dabei auf seine ganz individuelle Art mit ein. Und das Erreichen des gemeinsamen Ziels bedeutet für jeden einen Vorteil. Die Ausrichtung im Miteinander wirkt für jeden bereichernd. Sie werden zu aktiven Gestaltern der Situation. Im kooperativen Miteinander erreichen sie ihr Ziel.

Doch betrachten wir ein konkretes Beispiel: eine Fußballmannschaft. Das verbindende Bedürfnis der Mannschaftsmitglieder ist es, dass sie gemeinsam Fußball spielen möchten und dass auch noch erfolgreich innerhalb ihrer Liga. Dieses Bedürfnis hat jeder einzelne Spieler und es verbindet die gesamte Mannschaft.

Um ihr Ziel zu erreichen, treffen sich die Spieler jede Woche zum Training. Erst gibt es ein Konditions- und Balltraining und danach werden im Miteinander gezielte Spielsituationen eingeprobt. Zu guter Letzt wird noch munter eine Runde gekickt. Am Sonntag geht es dann zum Ligaspiel.

Doch wie werden die Spielsituationen einstudiert? Das Training erfolgt in einem zyklischen Prozess:

  1. In dem ersten Schritt wird eine konkrete Spielsituation identifiziert, die einzuüben ist.
  2. Danach wird die Spielsituation genauer betrachtet: Was macht die Situation aus? Welche Spieler sind daran beteiligt? Was für Eigenschaften brauchen die Spieler?
  3. Weiter stellen sich die Spieler die Frage: wie können wir die Situation einüben? Sie finden einen Ansatz und probieren ihn aus. Und das machen sie so lange, bis es ganz gut klappt.
  4. Zu guter Letzt betrachten sie das Resultat. Wo ist noch etwas zu verbessern? Wo klappt es noch nicht so wie gewünscht? Sind Trainer und Spieler mit dem Resultat zufrieden, dann können sie sich der nächsten Spielsituation zuwenden. Andernfalls fangen sie wieder bei dem ersten Schritt an, betrachten jetzt mit den gesammelten Erfahrungen die Spielsituation nochmal genauer und eingehender und üben dann weiter…

Der Zyklus wird solange wiederholt, bis die Spielsituation gut eintrainiert ist und sich in den Ligaspielen bewährt hat. Dabei nehmen alle Spieler der Mannschaft an dem Training teil, alle machen in den einzelnen Prozessschritten mit. Gegenseitig unterstützen und fördern sie sich, bis es mit den eingeübten Spielsituationen immer besser klappt. Schließlich weiß jeder einzelne Spieler, wie er das Eingeübte in seinem Spiel erfolgreich anwenden kann. Jeder Spieler fühlt sich als Teil der Mannschaft und bringt dabei seine ganz individuellen Fähigkeiten ein. Dabei entwickelt sich mehr und mehr eine Intuition: ganz selbstverständlich fügt sich das Spiel, es wirkt wie aus einem Guss und macht riesig Spaß. Die herausgearbeitete Vorstellung – wie im Miteinander gut Fußball gespielt werden kann – stärkt jeden einzelnen Spieler, die gesamte Mannschaft und, wenn sich in den Ligaspielen die Erfolge einstellen, wirkt das auch stärkend auf die Fans und den Verein.

Und wie ist dieses kooperative Miteinander jetzt zu unterscheiden von dem Schwarmverhalten der Fische? Nun der Fisch in seinem Schwarm oder der einzelne Mensch in der Masse wird von außen, von der Führerpersönlichkeit gesteuert. Sie reagieren unmittelbar auf die äußeren Begebenheiten, ohne jedoch einen eigenen, selbstentwickelten Willen zu haben. So wissen sie oft gar nicht warum und wieso sie so handeln, wie sie handeln. Sie folgen einfach dem vorgegebenen Programm – die Fische ihrem Instinkt, die Masse den äußeren Anforderungen.

Hingegen bei dem Fußballspiel weiß jeder einzelne Spieler, warum er Fußball spielt und er weiß auch, wie er sich in die Mannschaft gut einbringen kann. Diese bewusst entwickelte Vorstellung prägt das gesamte Spiel. Dabei reagieren die Spieler natürlich auch auf die äußeren Gegebenheiten, also auf die gegnerische Mannschaft. Doch sie fügen sich nicht einfach, sondern treten ihr mit einer selbst entwickelten Vorstellung entgegen. So werden die Spieler selbstbewusst, sie werden zu bewussten Gestaltern der Situation. Neben den einzelnen Spielern hat natürlich auch der Trainer eine zentrale Rolle. Er steuert und lenkt das Team von außen. Jedoch nicht, um seine alleinigen Interessen durchzusetzen, sondern um jeden einzelnen Spieler gezielt zu fördern und zu fordern, damit er eine eigenständige Rolle in der Mannschaft wahrnehmen kann.

Gemeinsam Lösungen entwickeln: