Xanthippe: Hallo Sokrates, kennst Du das auch? Da habe ich in einer Situation einen Entschluss zu treffen und alle raten mir, was ich dabei zu tun und zu beachten hätte. Doch durch all die gut gemeinten Ratschläge werde ich ganz verwirrt. Ich weiß dann gar nicht mehr, was ich eigentlich tun möchte.
Sokrates: Ja denn vertraue ich oft mehr oder weniger kritiklos einem gegebenen Ratschlag, der mir plausibel erscheint.
Xanthippe: Oder ich entscheide mich für irgendetwas, was mir gerade so einfällt. Nur allzu häufig stellt sich dann die Entscheidung als ziemlicher Mumpitz heraus.
Sokrates: Da ergeht es Dir wie in der Geschichte mit Vater und Sohn und ihrem Esel:
Vater, Sohn und Esel
In der glühenden Mittagshitze zogen ein Vater, sein Sohn und ein Esel durch die staubigen Gassen einer Stadt. Der Vater saß auf dem Esel, während der Junge daneben herging. Da sagte ein Vorübergehender: „Der arme Junge. Seine kurzen Beine können mit dem Tempo des Esels kaum mithalten. Wie kann ein Vater so faul auf dem Esel sitzen, während der Junge vom Laufen ganz müde wird.“
Der Vater beherzigte diese Worte und setzte seinen Sohn auf den Esel. Bald darauf kam ein anderer Mann vorbei und rief: „So eine Unverschämtheit. Der Bengel sitzt wie ein Sultan auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenherläuft.“
Dies schmerzte den Jungen, der daraufhin den Vater bat, sich hinter ihn auf den Esel zu setzen. Bald darauf rief eine vorbeigehende Frau entrüstet aus: „Hat man so etwas schon gesehen? So eine Tierquälerei! Der Rücken des armen Esels hängt völlig durch, und der alte und der junge Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus, als wäre die arme Kreatur ein Diwan!“
Daraufhin stiegen Vater und Sohn wortlos vom Esel herunter, nahmen das Tier in ihre Mitte und gingen rechts und links daneben her. Kurze Zeit später machte sich ein Fremder über sie lustig: „So dumm möchte ich ja im Traume nicht sein. Wozu führt ihr denn den Esel spazieren, wenn er nichts leistet, euch keinen Nutzen bringt und nicht einmal einen von euch trägt?“
Vater und Sohn sahen einander wortlos an, dann packte der Vater den Esel bei den Vorderbeinen, der Sohn nahm ihn bei den Hinterbeinen, und so trugen sie beide ihren Esel für den Rest des Weges.
Xanthippe: Ja genauso ist es. Wie Vater und Sohn fühle ich mich geradezu getrieben durch die ganzen Vorschläge und das gute Zureden, ich werde ganz Meschugge und aus einer gewissen Trotzreaktion entscheide ich mich dann für irgendeinen Blödsinn.
Sokrates: Dabei stellt sich doch die Frage: Wie können wir in einer Situation einen eigenständigen Entschluss treffen?
Xanthippe: Dafür brauchen wir eine Vorstellung, ein Bild, wie die Situation durch den Entschluss neu gestaltet ist.
Sokrates: Und diese Vorstellung hat für uns richtig attraktiv sein, sie hat im Einklang zu sein mit unseren Zielen und Wünschen. Wir wollen, dass diese Vorstellung zu einer Realität wird!
Xanthippe: Dafür muss die Vorstellung möglichst konkret und realistisch sein. Wir dürfen nicht irgendwelchen Wunschgedanken oder Hirngespinsten nachhängen.
Sokrates: Und wir brauchen eine gute Einschätzung der Risiken, der Hindernisse und Aufwände, die auf uns zukommen, wenn wir die Vorstellung verwirklichen.
Xanthippe: Dafür wir haben uns konkret die Frage zu stellen: Wie gehen wir mit den Risiken und Hindernissen um? Wie sind sie lösbar? Oder bringen sie das gesamte Vorhaben zu Fall?
Sokrates: Zu beachten ist dabei auch die Frage, ob ich bereit bin die entstehenden Aufwände, die Arbeit, die Mühen zu tragen.
Xanthippe: Genau. Und diese Faktoren haben wir gegeneinander abzuwägen. Wir haben zu prüfen, ob wir uns auf die Sache einlassen wollen oder nicht.
Sokrates: Dabei tauchen immer weitere, immer konkreter Fragen und Zweifel auf, für die plausible Antworten und Lösungsansätze zu entwickeln sind.
Xanthippe: Mit jeder Antwort wird die Anschauung klarer und konkreter.
Sokrates: Durch das Ausräumen der Zweifel entwickeln wir mehr und mehr ein Vertrauen in das Bild. Wir kennen die Zukunft zwar nicht, entwickeln aber in unserer Vorstellung ein möglichst genaues Bild, wie wir uns die Zukunft vorstellen und wie wir den Weg dahin beschreiten.
Xanthippe: Es ist wie ein Blick in die Glaskugel. Anfangs ist das Bild trüb und klärt sich dann mehr und mehr, bis es uns deutlich als Quasi-Realität erscheint.
Sokrates: Und ist das Bild für uns richtig attraktiv, dann können wir den Entschluss fassen, es in die Wirklichkeit zu bringen. Dann wollen wir das Bild in die Realität bringen.
Xanthippe: Doch zuvor hat jeder den Mut und die Courage aufgebracht, sich festzulegen, Risiken einzugehen, Einschränkungen und Anpassungen der eigenen Position zu akzeptieren und sich für die Konsequenzen verantwortlich zu fühlen.
Sokrates: Ist der Entschluss gefasst, dann tritt Ruhe ein.
Xanthippe: Ja der eigenständige Entschluss wirkt stärkend, aufrichtend, befreiend und verleiht der Würde.
Sokrates Die Japaner sagen: ‚Der Tag, an dem Du einen Entschluss fasst, ist ein Glückstag‘.
Xanthippe: Doch ein gewisser Zweifel, ob der Entschluss auch wirklich gut ist bleibt trotz alledem.
Sokrates: Ja zugegeben, der letzte Zweifel verschwindet erst dann, wenn der Entschluss in die Tat umgesetzt ist und das Resultat gut ist.
Xanthippe: Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die schön illustriert, wie ein Entschluss durch die Entwicklung einer klaren Vorstellung zu Stande kommt:
Der Gartenteich
Zahlreiche Gartenbücher und Kataloge diverser Gärtnereien inspirieren meinen Vater bei der Gestaltung seines Gartens. Auch kann er an keinem Kiosk vorbeigehen, ohne eine Gartenzeitschrift zu erstehen. Gelegentlich schaue ich auch in die Hefte hinein, insbesondere wenn sie einen Beitrag über Gartenteiche enthalten. Denn einen Teich will ich schon lange in unserem Garten haben! Allerdings gilt es erst einmal, meinen Vater davon zu überzeugen. Er hält nicht viel von der Idee.
Nach einigem Hin und Her gesteht er mir widerwillig einen kleinen Teich zu. Dafür markiert er an einem schattigen Plätzchen, ganz am Rand des Gartens, eine kleine Fläche, indem er unreif vom Baum gefallene Äpfel auf die Umrisse legt. Ein Gartenteich braucht aber einen sonnigen Platz, und je größer ein Teich ist, desto besser entwickelt sich auch sein ökologisches Gleichgewicht! Also zeichne ich mittels der Äpfel einen großzügigeren Umriss mitten auf dem Rasen.
Am nächsten Morgen sind die Äpfel wieder verschoben und der Umriss ist deutlich geschrumpft.
Unverdrossen vergrößere ich die Teichfläche wieder …,
… worauf mein Vater seinerseits Ausmaße wieder verkleinert.
Das Spielchen geht eine ganze Weile …,
… doch langsam gewöhnt sich mein Vater an den Gedanken, den Teich mitten auf dem Rasen anzulegen, an der sonnigsten Stelle des Gartens …,
… und langsam nehme ich Abschied von meiner Vorstellung, den Teich recht groß anzulegen.
Schließlich einigen wir uns, den Teich kreisrund anzulegen, mit einem Durchmesser von exakt zwei Metern, platziert mitten auf der Rasenfläche.
Wir beginnen mit dem Spaten und tragen die dünne Humusschicht ab. Dann treiben wir das Loch mit Hacke und Steinhammer tiefer in die Kalkschicht. Anschließend legen wir die Folie aus. Dann bepflanzen wir die äußere Sumpfzone mit Wasseriris, Rohrkolben und Sumpfdotterblume, und an die tiefste Stelle setzen wir eine Seerose. Hornkraut und Wasserpest sollen das Algenwachstum in Grenzen halten und das Wasser klären. Zuletzt lassen wir das Wasser ein, bis sich der Teich gefüllt hat.
Nicht lange darauf stellen sich die ersten Tiere ein: Wasserläufer und Libellen. Später kommen Rückenschwimmer, diverse Wasserkäfer, Kröten und Molche hinzu. Ein Nachbar schwatzt uns sogar einige seiner Goldorfen auf, die sich der Graureiher schmecken lässt. Auch die Pflanzen wachsen heran und es gibt am Teich immer mehr zu beobachten und zu staunen.
Mein Vater und ich sitzen in der Sonne und bewundern den Teich. Es wird noch eine Weile brauchen, bis er so richtig in Schwung kommt, aber das Ergebnis ist jetzt schon zufriedenstellend.
Ich finde es toll, dass du dich darauf eingelassen hast, sage ich dankbar zu meinem Vater.
So ein Teich ist ja doch eine feine Sache, aber etwas größer hätte er ruhig sein können!, erwidert er prompt, und wir müssen laut lachen.