Die Schöpfungsgeschichten der verschiedenen Religionen, die Mythen und Sagen der Völker gehen davon aus, dass es hinter den Erscheinungen in unserer Umwelt eine ordnende und gestaltende Kraft gibt. So steht am Anfang des alten Testamentes:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.
Moses 1, 1-2.
In der Folge gestaltete Gott die Erde nach seiner Vorstellung. Er machte Licht, schuf Meer, Land und Berge, brachte das Leben auf die Erde: die Pflanzen, die Tiere und zu guter Letzt hat er uns Menschen geschaffen. Dann sah er, dass es gut war. Er hatte das Tohuwabohu auf der Erde geordnet und in eine Struktur gebracht.
So ist – nach der Genesis – das Leben auf dieser Erde entstanden. Dabei drängt sich die Frage auf: was ist die zu Grunde liegende, gestaltende und ordnende Kraft? Und weiter: Wie können wir Menschen diese Kraft für unsere Zwecke nutzen? Wie können wir selbst eine Ordnung schaffen?
Der evolutive Ansatz
Ausgehend von der darwinschen Evolutionstheorie verbreitete sich die Vorstellung, dass es so eine Urkraft gar nicht gäbe. Der Zufall in den Mutationen unserer Erbsubstanz wurde als treibender Faktor der Entwicklung identifiziert. Und was sich bei den zufälligen Mutationen als besonders tragfähig erweist, was für die äußere Situation am besten angepasst ist, das setzt sich durch. Survival of the fittest. Dieses Motto wurde einerseits molekularbiologisch begründet. Danach bestimmen unsere Chromosomen unser Denken, Fühlen und Handeln und damit auch, ob wir fit sind für diese Gesellschaft. Außerdem wurde dieses „Survival of the fittest“ zum prägenden Bild für unser soziales Miteinander, indem die einzelnen Individuen ihren Ehrgeiz nach immer höher gesteckten Zielen ausrichten.
In dieser Vorstellung gibt es gar keine innere Kraft, keinen „Kern“, der eine Situation prägt. In diesem Bild gibt es einerseits den äußeren Rahmen, der durch die gegebenen Regeln und Bedingungen festgelegt ist, und innerhalb dieses Rahmens findet die Entwicklung statt, vorangetrieben durch das Zufallsprinzip. Und das, was jeweils am besten für die Situation passt, setzt sich durch und wird weiter verfolgt. Der Rest fällt der natürlichen Auslese zum Opfer. Mit dem Zufallsprinzip in Verbindung mit der natürlichen Auslese entwickelt sich die Situation „selbstorganisiert“ weiter. Wir können uns das Ganze als einen Kreis vorstellen, dessen Umfang die Situation begrenzt und die geltenden Regeln darstellt. Und innerhalb des Kreises herrscht das Zufallsprinzip, und die für die Situation am besten angepasste Lösung setzt sich durch.
Dieser Ansatz wurde auf das soziale Miteinander übertragen, etwa auf die Gesprächsführung. Dabei ist die Gesprächssituation durch das gewählte Thema vorgegeben und zusätzlich gibt es Spielregeln, nach denen sich das Miteinander ausrichtet: dass jeder seine Meinung frei äußern kann, dass jeder ausreden darf, ohne unterbrochen zu werden, dass das Miteinander von einer gegenseitigen Wertschätzung getragen wird…
Nach diesem Ansatz handeln die Gesprächspartner wie spielende Kinder. Sie probieren dies aus und probieren das aus, und es wird jeweils geschaut, wie die Ergebnisse für die Situation passen. Dabei ist im Grunde alles erlaubt: neue Wege sind einzuschlagen, das Bestehende zu hinterfragen, Sachen auszuprobieren. Das bringt frische Impulse, wobei anschließend jeweils zu prüfen ist, ob der neue Weg gangbar ist, ob er für die Situation auch wirklich taugt. Und jeweils der Ansatz, der den Beteiligten am besten passt, der ihnen am attraktivsten erscheint, wird weiterverfolgt. Dabei erfolgt die Entwicklung im Konsens – die gemeinsamen Erfahrungen der Beteiligten, ihre Ansichten und Bewertungen bilden die Grundlage für die Entscheidungen. Sie ersetzen die natürliche Auslese. Sie sind die treibende Kraft. So entwickelt sich in dem Gespräch „selbstorganisiert“ eine Lösung für die Situation.
Des Pudels Kern
Die Grundannahme dieses evolutiven Ansatzes ist es, dass die beteiligten Personen selbst kein Bewusstsein haben, dass sie selbst keine Vorstellung haben und auch nicht entwickeln können, wie sie gemeinsam in der Situation zu einer Lösung gelangen. Doch das Leben ist ja gerade durch unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte geprägt. Sie bilden eine Kraft, die sich in unserem Denken, in unserem Fühlen und Handeln äußert, und die unseren gesamten Organismus belebt. Und darüber hinaus zeichnet unser Menschsein unser Bewusstsein aus, also die Fähigkeit eine eigene Vorstellung entwickeln zu können, die wir dann weiter aufgreifen und verwirklichen. Und so können wir die Frage der Entwicklung in einem ganz anderen Licht betrachten, indem wir uns in einer Situation fragen: Was wollen wir eigentlich? Was ist das prägende Bedürfnis, das in der Situation zu einer Lösung gebracht werden möchte?
Bei diesem Ansatz haben wir immer noch den Kreis, der die äußere Situation mit ihren Regeln und Verordnungen darstellt. Doch jetzt gehen wir auf Suche nach dem Mittelpunkt des Kreises, zum Kern, zu dem Wesentlichen, zu dem, was in der Situation zu einem Ausdruck gebracht werden möchte. Und haben wir den Kern gefunden, dann entwickeln wir eine Lösung, die dem Kern entspricht und den gesamten Inhalt des Kreises neu ausrichtet, die in dem Kreis eine Ordnung schafft.
Dabei sind die möglichen Kerne in einer Situation durch die neun seelischen Grundbedürfnisse gegeben:
- Orientierung
- Wesentlichkeit
- Transzendenz
- Eigenständigkeit
- Klarheit
- Verbundenheit
- Neuausrichtung
- Aktivität
- Ordnung
Jeweils gibt es in einer Situation ein zentrales seelischen Bedürfnis, das zu einem Ausdruck drängt. Und haben wir dieses zentrale Bedürfnis aufgespürt, dann wissen wir, was wir in der Situation wirklich wollen, dann können wir dafür eine Lösung entwickeln. Das gesamte Vorgehen lässt sich durch einen allgemeinen Veränderungsprozess beschreiben. Der Ansatz bildet die Grundlage für die Guten Gespräche.