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Gemeinsam Lösungen entwickeln – Teil 2

Gegensätze ziehen sich an

Ja das Andere, das Fremde! Das ist doch so interessant, so neu, so exotisch und aufregend. Es reist mich heraus aus dem Gewohnten, bietet neue Perspektiven, inspiriert zu neuen Ideen. Es ist die willkommene Abwechslung zu dem täglichen Krams. So begeistert das Andere, das Neue auf emotionaler Ebene. Doch diese Emotionen sind nur unsere Reaktion auf die äußeren Begebenheiten und bilden keine stabile Basis für das Miteinander. Allzu schnell ist die anfängliche Faszination verrauscht. Dann tritt eine Ernüchterung ein. Dann bestimmen die Polaritäten das Miteinander: sie will ins Kino, er will Joggen; sie will an die Nordsee, er will in die Berge; sie will ihre Ruhe haben, er möchte etwas unternehmen; sie mag es herzhaft, er mag es süß…. und so weiter und so fort. Die Polaritäten führen allzu oft zu heftigen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten. Und diese Streitigkeiten erscheinen uns als ganz selbstverständlich, dass wir der Ansicht sind: das muss so sein, es geht gar nicht anders.

Doch was ist das Ziel hinter diesen Streitigkeiten? Klar, jeder bezieht seine Position und ist bestrebt, diese möglichst gut im Miteinander durchzusetzen. Es ist ein Kampf – nicht mit Fäusten ausgetragen sondern mit Worten. Aus diesen Wortgefechten als Sieger hervorzugehen, ist das erklärte Ziel. Dafür üben wir uns in der Kunst des Überzeugens, in Rhetorik, in psychologischer Gesprächsführung sowie in der Kunst des Diskutierens und Argumentierens, damit wir in den Streitigkeiten unsere Positionen möglichst gut vertreten können, uns durchsetzen können und uns nicht unterbuttern lassen. Und sind wir und der Gegner in dem Kampf gut gerüstet, geht es mit dem Austausch der Argumente und Gegenargumente so richtig zur Sache, dann machen uns die Gefechte durchaus Spaß. Dann steht die Streiterei selbst im Mittelpunkt des Interesses, dann wird das dabei erzielte Resultat schon fast zur Nebensache.

Doch was sollte das Resultat sein? Die übliche Vorstellung ist, dass man sich auf einen fairen Kompromiss einigt, auf eine die verschiedenen Positionen verbindende Lösung, bei der aber bitte jeder Mitstreiter ein gleich großes Zugeständnis hinzunehmen hat. Die bitteren Pillen, die jede der Parteien zu schlucken hat, möchten gerecht verteilt sein! Denn wer bei dem Kompromiss ein größeres Opfer hinnimmt als der Gegner, wird allzu leicht als Schwächling angesehen.

Dabei hatte bereits der griechische Philosoph Heraklit einen ganz anderen Ansatz herausgestellt:

Die schönste Harmonie entsteht durch das Zusammenwirken der Gegensätze.

Heraklit

Danach besteht die Kunst des Miteinanders nicht in einem Gegeneinander, bei dem wir uns auf einen mehr oder weniger vernünftigen Kompromiss einigen, sondern in einem konstruktiven Zusammenwirken der Gegensätze.

Schön gesagt Herr Philosoph! Doch wie soll das praktisch funktionieren? Wie kommen wir dahin, dass die Gegensätze sich ergänzen und unterstützen und dass daraus eine Harmonie entsteht? Schauen wir wieder bei den Tieren. In den Symbiosen machen sie es uns vor:

Betrachten wir als Beispiel ein Krokodil. Es hat beeindruckende Zähne, mit denen es seine Beute reißt. Doch möchten die Zähne auch geputzt sein. Dafür bedient es sich der Unterstützung des Krokodilwächters, eines Vogels, der die Fressensreste aus dem Krokodilmaul und zwischen den Zähnen herauspickt. Für den Vogel öffnet das Krokodil bereitwillig sein gefährliches Maul, in das der Krokodilwächter ganz selbstverständlich hineinhüpft, um seine Arbeit zu verrichten. So wird der Krokodilwächter satt und dem Krokodil werden die Zähne geputzt. Die unterschiedlichen Eigenschaften der beiden Tiere ergänzen sich und jedes hat seinen Nutzen davon.

Die Tiere folgen in der Symbiose einem instinktiv angelegten Programm. Doch wir Menschen haben unser Bewusstsein. Wir können uns ganz gezielt fragen: Wie kommt ein symbiotisches Miteinander zustande? Oder anders ausgedrückt: Wie können sich unsere Gegensätze in einem kooperativen Zusammenwirken ergänzen?

Die Grundvoraussetzung für eine Symbiose ist es, ein Interesse an der tatsächlichen Situation und dem jeweils anderen zu entwickeln. Wir haben das Gegenüber zu betrachten, seine Fähigkeiten wahrzunehmen und die Frage zu stellen: wie kann er mir mit seinen Fähigkeiten nutzen? So mag sich das Krokodil fragen: wie kann mir der Krokodilwächter behilflich sein? Und auch der Krokodilwächter fragt sich: wie kann mir das Krokodil helfen? Und dabei erkennt das Krokodil: dass ihm der Krokodilwächter seine Zähne putzen kann. Und der Krokodilwächter erkennt, dass er in dem Krokodilmaul reichlich Nahrung finden kann.

Damit jetzt die Symbiose aber gelingt, muss das Krokodil von seiner Macht loslassen, muss seinen Jagdinstinkt überwinden, wenn es für den Krokodilwächter das Maul aufreißt. Es muss erkennen, dass es selbst hilfebedürftig ist und den Vogel als Helfer willkommen heißen und akzeptieren. Und der Krokodilwächter hingegen muss seine Angst vor dem Krokodil überwinden, er muss erkennen, dass er für das Krokodil wirklich eine Hilfe sein kann, um dann couragiert in das Krokodilmaul zu hüpfen und die Fressensreste zu picken. Doch beide sind zu diesen Zugeständnissen gerne bereit, in Anbetracht des Vorteils, den sie daraus erhalten.

Schön. Jetzt haben wir eine Erklärung für die Symbiose bei den Tieren. Doch was bedeutet das jetzt für uns Menschen? Wie können wir unsere Gegensätze zu einem kooperativen Miteinander ganz konkret zusammenbringen? Betrachten wir dazu ein Beispiel:

Im Sportverein gibt es Ärger. Die Mitgliederzahlen sinken. Der erste Vorsitzende meint, man müsse mehr für die Öffentlichkeitsarbeit tun, konkret in den Schulen den Verein bekannter machen. Der zweite Vorsitzende hingegen meint, man müsse die Talente in dem Verein mehr fördern, weitere Trainingsmöglichkeiten anbieten, um so einen Anreiz für neue Mitglieder zu schaffen.

Betrachten wir die Positionen genauer:

Der erste Vorsitzende sieht den Verein vornehmlich als ein Angebot für eine breite Bevölkerungsschicht, so dass möglichst viele etwas für ihre körperliche Fitness tun können und sich dabei treffen und auch gerne unterhalten. Der sportliche Erfolg ist für ihn eher von untergeordneter Bedeutung. Das gemeinsame Sporttreiben und das gesellige Beisammensein sind ihm wichtiger.

Für den zweiten Vorsitzenden hingegen steht der sportliche Erfolg im Vordergrund. Er möchte auch neue Mitglieder werben, doch vor allem, möchte er neue Leistungsträger in den Verein holen. Denn nach seiner Meinung machen die sportlichen Erfolge den Verein attraktiver, machen ihn bekannter, rücken ihn mehr ins Bewusstsein der Menschen, locken neue Sponsoren und damit wird letztlich auch der Breitensport gefördert.

Dabei haben beide Vorsitzende das verbindende Ziel, einen attraktiven Sportverein zu haben. Doch sie haben unterschiedliche Vorstellung davon, was für sie ein attraktiver Verein ist und wie sie neue Mitglieder werben wollen.

Fassen wir das Ganze in einem Bild zusammen: Da haben wir zuerst die beiden Vorsitzenden. Sie sind beide unterschiedlich gestrickt; nennen wir sie den Geselligen und den Erfolgreichen. Außerdem haben wir eine übergeordnete verbindende Frage für die beiden: Wie kommen wir zu neuen Mitgliedern?

So und diese übergeordnete Frage haben wir jetzt in einem konstruktiven Zusammenspiel der Personen zu einer Lösung zu bringen! Dafür haben die beiden Vorsitzenden von ihren selbstbezogenen Vorstellungen abzuweichen. Stattdessen schauen sie die jeweils andere Person an und fragen sich: Wie kann er mir helfen, wie kann er mich unterstützen, damit ich mein Ziel erreiche?

Also betrachten wir die beiden Personen mit ihren prägenden Eigenschaften etwas genauer:

Der Gesellige ist gerne mit anderen Menschen zusammen. Er ist kommunikativ, kann auf Leute zugehen, ihnen etwas vermitteln, sie für eine Sache begeistern. Er kennt fast alle Vereinsmitglieder und ist in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund. Er ist mit seiner humorvollen Art sehr beliebt.

Der Erfolgreiche richtet sich nach Zielen aus. Er ist ein genauer Beobachter, kann passende Ziele identifizieren und Personen gezielt fördern, damit die Ziele erreicht werden. Dabei plant er akribisch die einzelnen Schritte und organisiert die erforderlichen Maßnahmen.

Und wie kommen jetzt diese verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften zusammen? Was könnte ein verbindendes Ziel sein, dass sie beide auf ihre Art erreichen wollen und wobei sich ihre unterschiedlichen Eigenschaften auf konstruktive Art ergänzen? Nach einigem Hin und Her haben sie sich geeinigt: Sie möchten ein Vereinswochenende gestalten, bei dem die verschiedenen Abteilungen des Vereins sich vorstellen und Freundschaftsspiele und Wettkämpfe austragen. An dem Wochenende sollen die Aktionen des Sportvereins die Stadt prägen – ob nun Fußball, Handball oder Basketball, ob Leichtathletik, Turnen oder Schwimmen, ob für Kinder, Senioren oder Leistungssportler – für jeden ist etwas dabei. So wird das vielfältige Angebot des Vereins vorgestellt und in den Freundschaftswettkämpfen werden die Leistungen mit den Gästen gemessen.

Und wie kommen jetzt die beiden Vorsitzenden zu einem konstruktiven Zusammenwirken? Die Vorbereitung und Planung des Vereinswochenendes bringt beide zusammen:

  1. Als Beobachter betrachtet der Erfolgreiche die Situation und fragt sich: Was für Aktionen können zum Gelingen des Vereinsfestes beitragen?
  2. Als Vertreter greift der Gesellige die einzelnen Aktionen auf und geht auf entsprechende Leute im Verein, oder in der Stadt zu und bittet um ihre Unterstützung. Außerdem wendet sich an andere Vereine in der Umgebung, wirbt bei Sponsoren, informiert die Presse und macht so die Veranstaltung bekannt.
  3. Weiter organisiert der Erfolgreiche das Vereinsfest:  Dabei fragt er sich, was für die verschiedenen Aktionen konkret zu machen ist und wie sie sich passend in das Fest integrieren lassen – wie einzelne Puzzleteile fügen sich die einzelnen Programmpunkte zu einem Gesamtbild.
  4. Der Gesellige vermittelt die Ergebnisse des Organisators, so dass diese umgesetzt werden. Er geht auf die jeweiligen Personen zu, klärt Fragen und räumt Zweifel aus dem Weg.

Ist der Prozess einmal durchlaufen, dann ist die Organisation des Vereinsfestes noch lange nicht abgeschlossen. Dann fängt man wieder bei dem ersten Schritt an, dem Beobachter fallen neue mögliche Aktivitäten ein, er erkennt, dass einige noch bekanntzumachen und weiter zu konkretisieren sind und außerdem haben sich bereits Freiwillige aus dem Verein mit eigenen Vorschlägen und Anregungen gemeldet. Diese werden dann weiter aufgegriffen und geprüft.

Der Prozess wird solange durchgeführt, bis das Resultat für die beiden Vorsitzenden und alle anderen Beteiligten passt. So wird das Fest getragen von vielen Mitgliedern, Freunden und Bekannten. Das Fest wurde zu einem großen Erfolg. Anschließend kamen in den Verein viele neue Mitglieder, unter ihnen auch einige bekannte Leistungsträger.

Gemeinsam Lösungen entwickeln: