Häufig gleichen unsere Gespräche einem Kampf, bei dem jeder bestrebt ist, seine Meinung möglichst gut durchzusetzen. Dabei sind wir allzu oft Gefangene unserer eigenen Gedanken und sitzen alleine in einer Art goldenem Käfig. Die Guten Gespräche hingegen sind geprägt durch ein kooperatives Miteinander. So stellt sich die Frage: Wie können wir von einer „normalen“ Gesprächssituation zu einem Guten Gespräch gelangen? Wie kommen wir raus aus unserem goldenen Käfig?
In Gesprächen treten wir in Kontakt mit unseren Mitmenschen – sei es am Essenstisch, am Gartenzaun, im Verein, beim Kaffeetrinken oder Stammtisch, sowie auch mit den Kollegen und Kunden bei der Arbeit. Neben der reinen Unterhaltung verfolgen wir mit unseren Gesprächen oft auch einen konkreten Zweck. Im Miteinander möchten wir etwa eine Frage klären, ein Problem lösen, Ziele definieren oder eine Situation erfassen.
Dabei hat wohl jeder Beteiligte den stillen Wunsch, in dem Gespräch ein gutes Resultat zu erzielen. Doch das ist nicht selbstverständlich. Wie oft führen unsere Gespräche zu Streitereien. Da werden die verschiedenen Positionen bezogen, die jeder vehement vertritt, um die anderen davon zu überzeugen. Dann gleicht das Gespräch einem Kampf, der von einem Gewinner-Verlierer-Denken geprägt ist. Oder in dem anderen Extrem verlieren wir uns in dem Gespräch in Floskeln. Dann reden wir um den heißen Brei herum und finden gar nicht den Punkt, der in dem Gespräch zu klären wäre. In beiden Fällen kommt es in dem Austausch zu keinem Resultat. Stattdessen fühlen wir uns am Ende solcher Gespräche nur erschöpft und sind froh, dass die Sache endlich vorbei ist.
Wir sitzen in einem goldenen Käfig
Um in dieser Art Gespräche gut gerüstet zu sein, gibt es zahlreiche Ansätze. Sei es etwa die Rhetorik, die diversen Formen der psychologischen Gesprächsführung, die Streitkultur oder die Diplomatie. Aber all diese Ansätze verfolgen das Ziel, eine Position im Gespräch möglichst gut durchsetzen zu können, den Kampf möglichst gut zu bestehen.
Dabei kreisen die Gedanken der Beteiligten jeweils um sich selbst. Jeder hat seine Position, seine Ansicht oder Meinung und möchte sie durchsetzen. Und die anderen? Ach, das ist ganz einfach: akzeptieren die anderen meine Meinung, dann sind sie mir wohlgesonnen und sympathisch. Akzeptieren sie meine Meinung jedoch nicht, dann sind sie meine Feinde. Doch in beiden Fällen interessieren mich die Personen nicht als eigenständige Menschen, sondern nur in Bezug auf meine eigenen Ansichten.
Und das geht nicht nur mir so. Jeder lebt in seinem Käfig, der durch die eigenen Vorstellungen und Gedanken geprägt ist. Und wir sind die ganze Zeit damit beschäftigt, den Käfig schöner zu machen, ihn zu polieren, zu vergolden, so dass er für uns immer besser passt und so dass er auch den anderen möglichst attraktiv erscheinen möge. So stecken wir unsere ganze Energie in den Käfig. Doch darin sitzt ein trauriger Vogel, der seine trockenen Körner pickt. Wie gerne würde der Vogel doch die Käfigtüre öffnen, hinausfliegen und seine Freiheit leben.
Wie können wir den goldenen Käfig hinter uns lassen?
Doch halt! Machen wir uns nichts vor. Der Käfig ist das Gewohnte, das Vertraute, mit dem wir uns arrangiert haben, das wir kennen, das uns vermeintlich Sicherheit und Halt bietet. Denn draußen vor dem Käfig, da ist doch das Unbekannte, das Ungewisse. Warum sollte ich mich darauf einlassen? Ich habe es mir in meinem Käfig doch so schön gemütlich gemacht. So hängen wir an unserem Käfig, er prägt unser Denken, unser Handeln und wir verteidigen ihn, sobald er in Frage gestellt wird. Dabei haben wir als Käfigbewohner durchaus die Sehnsucht, die Tür zu öffnen und das Gefängnis hinter uns zu lassen. Doch es ist die Macht der Gewohnheit, die uns diese Sehnsucht hintanstellen lässt, so dass wir weiter brav von Stange zu Stange hüpfen, anstatt die Flügel zu spannen, loszufliegen und den Käfig für immer hinter uns zu lassen.
Doch wie können wir den Käfig überwinden? Dafür haben wir uns zu aller erst bewusst zu machen, dass wir in einem Käfig leben. Und weiter: dass der Käfig zwar bequem ist, dass wir in ihm aber unsere ganz eigenen Interessen und Bedürfnisse gar nicht ausleben können, dass unsere Meinungen und Ansichten nur eine eingeschränkte Sicht auf die täglichen Situationen bieten, dass es außerhalb des Käfigs noch viel mehr zu erkunden und zu erfahren gibt.
Doch das Bewusstmachen des Käfigs alleine genügt noch nicht. Denn es erfordert Mut und Entschlossenheit, um wirklich aktiv zu werden, einen Schritt vor die Tür zu wagen und das Alte hinter uns zu lassen. Oder wie der französische Philosoph André Gide es ausdrückte:
Man entdeckt keinen neuen Erdteil, ohne den Mut zu haben,
alte Küsten aus den Augen zu verlieren.
André Gide
So werden wir nur bereit, nach neuen Kontinenten aufzubrechen, wenn wir uns davon etwas versprechen. Wenn uns der Schritt nach Draußen so attraktiv erscheint, dass wir dafür das Vertraute hinter uns lassen. Im Extremfall kann der Schritt aus der Not geboren sein, wenn wir in unserm Leben feststellen: So kann es nicht weiter gehen! Und wenn dieser Impuls in uns so mächtig wird, dass er uns im tiefen Inneren wirklich packt und wir mit aller Entschlossenheit aufbrechen und den Käfig verlassen.
Doch auch in nicht so extremen Situationen werden wir bereit für die Veränderung, wenn wir etwas finden, das uns wirklich wichtig ist, ein inneres Bedürfnis, eine Sehnsucht, die wir ausleben wollen, für die wir in dem Käfig jedoch keine Lösung finden. Dann werden wir bereit, aus dem Käfig herauszutreten. Also fragen wir uns: Was ist die Sehnsucht in der aktuellen Situation? Welches seelische Bedürfnis möchte zu einem Ausdruck gebracht werden? Was wollen wir wirklich?
Die Sehnsucht ist der Schlüssel zum Miteinander
Und um diese Fragen zu beantworten, haben wir unseren Käfig zu verlassen und eine betreffende Situation aus einer distanzierten Perspektive wie neu zu betrachten – interessiert, unvoreingenommen. Also treten wir doch einmal aus unserer Ich-Bezogenheit heraus und richten wir uns stattdessen nach dem Äußeren, nach der konkreten Situation aus.
Doch auf sich selbst gestellt ist das durchaus eine schwierige Sache. In einem vertrauten Umgang miteinander, in einer Situation der Verbundenheit können wir die Hemmschwelle leichter überwinden und jeder für sich einen Schritt vor die Käfigtür wagen. So ist es einerseits hilfreich, einen Gesprächspartner zu haben, der gezielt und durchaus provozierend Fragen stellt und uns dazu nötigt, die Situation immer wieder von einer anderen Warte aus zu betrachten. Und andererseits braucht es Gleichgesinnte, mit denen wir uns über das Neue, die Welt außerhalb des Käfigs, austauschen können.
Dabei ist jeder aufgefordert, eine jeweilige Situation selbst zu erfassen, sie zu betrachten, zu hinterfragen, zu ergründen und sich ein eigenes Bild davon zu verschaffen. Und der erste, der zaghaft anfängt, seine Eindrücke mitzuteilen, motiviert die anderen, es ihm gleich zu tun. Denn alle verfolgen erst einmal das gleiche Ziel: Jeder möchte sein zentrales äußeres Bedürfnis in der Situation identifizieren und weiter umsetzen. Doch dafür ist das passende gemeinsame seelische Bedürfnis, die gemeinsame Sehnsucht aufzuspüren. Sie bildet den Schlüssel, wie wir unsere äußeren Bedürfnisse auch in der Gesellschaft verwirklichen können. (für eine Definition der beiden Bedürfnisarten siehe: die seelischen Bedürfnisse)
Bei dieser Vorgangsweise werden die Ansichten und Meinungen der Gesprächsteilnehmer nicht mehr als Attacke auf die eigene Person betrachtet, sondern als Beiträge, um dem gemeinsamen seelischen Bedürfnis auf die Schliche zu kommen. Mehr und mehr können wir so unsere ichbezogenen Vorstellungen hinter uns lassen. In dem Austausch treten immer neue Ansichten zu Tage. Es fügt sich Beitrag zu Beitrag. Es ist wie bei einem Puzzle. Es entsteht ein immer vielschichtigeres, vollständigeres und tragfähigeres Bild von der Situation. Es ist ein gemeinsames Ringen, bei dem alle an einem Strang ziehen. Schließlich tritt die verbindende Sehnsucht klar hervor. Dann öffnet sich für die Gesprächsteilnehmer ein neuer, gestalterischer Raum. Sie finden neue Ideen, neue Lösungsansätze, es entstehen kreative Entscheidungen, um diese gemeinsame Sehnsucht konkret zu befriedigen.
Fazit
Damit Gute Gespräche funktionieren, braucht es häufig den Dreh von der Ich-bezogenen Einstellung der Gesprächspartner hin zu einem kooperativen Miteinander. Den Schlüssel dazu bietet die Sehnsucht oder das zentrale seelische Bedürfnis in der Situation. Es wirkt wie ein Sesam-öffne-dich und schafft einen verbindenden, gestalterischen Raum, in dem sich im Miteinander eine attraktive Lösung für die Sehnsucht entwickeln lässt.
Doch entscheidend, damit die Gespräche erfolgreich verlaufen, ist der erste Schritt heraus aus dem Käfig, der dann die anderen Gesprächsteilnehmer ermutigt, mitzuziehen. Dieser Schritt kostet Überwindung. In den Guten Gesprächen ist es eine zentrale Aufgabe des Gesprächsführers, die Bereitschaft für diesen ersten Schritt im Miteinander vorzubereiten und zu beschreiten. Die Folgeschritte kommen dann häufig ganz von alleine. Das wussten schon die alten Chinesen. Schon Laotse sagte:
Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.
Laotse