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Was sind Wesen?

Wesen bezeichnen die vielfältigen Erscheinungen in der belebten Natur. Lebewesen. Wir beziehen die Wesen auf Menschen, Tiere und manchmal auch auf Pflanzen. Darüber hinaus beschreibt das Wesen unsere Eigenschaften. Wir sagen: „Der hat ein gutes Wesen“ – womit wir einen inneren Wert der Person bezeichnen, etwas Schönes, etwas Richtiges im Gegensatz zum Unwesen, womit wir etwas Schlechtes, etwas Falsches verbinden. Das Wesen steht im Gegensatz zum Schein. Der Schein ist das Äußere, die Fassade, die Maske, die wir in den täglichen Situationen zeigen. Das Wesen steht dahinter. Es ist verborgen. Wir können es nicht direkt wahrnehmen. Dennoch prägt es uns. Wir können sagen: Ein Wesen bringt eine Grundeigenschaft eines Lebewesens zum Ausdruck, die als tiefe innere Sehnsucht, als seelisches Grundbedürfnis in ihm veranlagt ist. Dafür verfügt jedes Wesen über spezifische Eigenschaften, über innere Werte, die es in seinem Handeln zum Ausdruck bringt. In den Lebewesen spielen die verschiedenen Wesen zusammen – entsprechend der unterschiedlichen Eigenschaften. Die Anzahl der Grundbedürfnisse ist überschaubar. Ich möchte hier neun betrachten:

Die seelischen Grundbedürfnisse sind zu unterscheiden von den körperlichen Bedürfnissen, etwa dem Bedürfnis zu essen, zu trinken, zu atmen oder den Bedürfnissen nach Gesundheit und existenzieller Sicherheit. Dagegen prägen die seelischen Grundbedürfnisse unsere Persönlichkeit, unser Sein. Sie bestimmen unsere individuellen Eigenschaften.

Dabei zeichnet jedes Lebewesen einen dominierenden Grundbedarf aus, der als Wesenskern in dem Lebewesen verkörpert ist und zu einem Ausdruck drängt. Für diesen Zweck bindet das Lebewesen die anderen Wesen unterstützend mit ein, gemäß der spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten. So prägt der Wesenskern maßgeblich Verhalten, Charakter und auch das Aussehen der Lebewesen. Er bestimmt ihr Sein. Der Kern ist das gestaltende Grundmuster hinter unserem Denken, Fühlen und Wollen.

Die Wesen bilden sozusagen die Handwerkzeuge Gottes, mit denen er die Vielfalt der Arten, mit denen er die Schöpfung, unsere gesamte Natur gestaltet. Die Natur ist die Manifestation des göttlichen Willens. Dieser Wille durchdringt alles und dabei sind die Wesen die gestalterischen Mittel. So treffen wir die Signaturen der Wesen bei den Tieren, den Pflanzen und den Menschen. Doch lässt sich der Begriff des Wesens noch weiter fassen. Er lässt sich nicht nur auf das Lebendige beziehen, sondern auf alle Dinge, auf alles was uns umgibt. Wir sprechen vom „Wesen der Dinge“ und meinen damit den Bedarf, den Zweck, der in einem Ding, in einer Sache, einer Landschaft oder Situation zum Ausdruck drängt.

Doch bleiben wir bei den Lebewesen. Wir Menschen haben die großartige Fähigkeit, die Wesen erkennen zu können. Zugegeben, das Erkennen des Wesenskerns ist bei Menschen durchaus eine schwere Sache. Dagegen sind die Wesenskerne bei den Tieren relativ leicht auszumachen. Tiere bringen ihr entsprechendes Wesen durch ihren Instinkt direkt und unverfälscht zu einem Ausdruck. Schauen wir uns Tiere an und entschlüsseln ihren prägenden Wesenskern:

  • Die Präriehunde sind charakterisiert durch ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit, mit der sie die Umgebung wahrnehmen und sich eine Orientierung verschaffen.
  • Die Affen zeichnet ihre Verbundenheit, das soziale Miteinander aus, in dem sie sich gegenseitig lausen. (Die Präriehunde sind auch in einer Gruppe, doch wichtiger als die Gestaltung des Miteinanders, ist ihnen das Wahrnehmen der Situation.)
  • Den Uhu kennzeichnen die großen Augen, die es ihm ermöglichen, auch des Nachts gut zu sehen und erfolgreich zu jagen. Er bringt Klarheit in das Dunkel.
  • Der Luchs ist geprägt durch seine Eigenständigkeit, die er mit einer selbstverständlichen Würde zu einem Ausdruck bringt.
  • Der Adler zieht am Himmel seine Kreise. Er ist frei und unabhängig und hat dabei eine gute Übersicht über die Situation.
  • Das Pferd steckt voller Energie und Tatendrang, den es aktiv zu einem Ausdruck bringt.
  • Der Dachs ergründet eine Situation, er dringt zum Wesen vor.
  • Ausgerichtet ist der Flug der Kraniche.
  • Der Kolibri fliegt von Blüte zu Blüte, um sie zu bestäuben und den Nektar zu schlürfen. Er schafft den Ausgleich und die verbindende Ordnung zwischen all den anderen Wesen.

In der Abbildung sind neun Tiere dargestellt mit unterschiedlichen Wesenskernen. Die Wesen sind in den Tieren spezifisch veranlagt. Jede Tierart mit dem gleichen Wesenskern, bringt die Wesen anders zu einem Ausdruck. Doch Tiere sind sich ihres Wesens nicht bewusst, es ist in den Tieren instinktiv veranlagt. Sie erhalten ihren entsprechenden Wesenskern mit der Geburt und richten ihr Verhalten ganz selbstverständlich nach ihm aus. Sie folgen einer Art „innerem Programm“.

Auch in uns Menschen sind die neun Grundbedarfe als Persönlichkeitseigenschaften veranlagt. Doch im Gegensatz zum Tier haben wir die zugehörigen Wesenseigenschaften nicht von Geburt an, wir leben sie nicht instinktiv aus. Stattdessen entwickeln sich die Wesenszüge bei uns Menschen im Laufe der Zeit ganz individuell. Das geschieht meistens unbewusst. Dann beherrscht uns der Wesenskern, bestimmt unseren Willen, prägt unsere Persönlichkeitseigenschaften. Doch der Wille ist ungeordnet, triebhaft, zwanghaft. Der Wesenskern erfasst uns, doch er kommt nicht zu einem freien Ausdruck. Wir empfinden unser Wesen dann entweder als etwas Selbstverständliches, das keinerlei Beachtung verdient, oder als etwas Störendes, das unserer Aufgabe im Wege steht. In beiden Fällen treten wir unser Wesen regelrecht mit Füßen und unterdrücken es. Wir wollen unser eigenes Wesen gar nicht kennenlernen, es ausleben. Stattdessen richten wir uns danach, was die Situation, das Umfeld und unsere eigenen Vorstellungen und Meinungen ‚erfordern‘. So sind wir uns unseres Wesenskerns, unseres inneren Wertes nicht wirklich bewusst. Der Kern ist überschattet durch unser Wissen, unsere Annahmen, Vorstellungen und Meinungen. Diese hindern uns daran, unseren Wesenskern zu identifizieren, ihn aufzugreifen und bewusst auszuleben. Dabei liegen unsere Wesen oft in einem Wettstreit. Uns fehlt die führende innere Ordnung, mit der wir unsere Umwelt wahrnehmen und unser Handeln ausrichten können. So wissen wir oft gar nicht, was in einer Situation angebracht ist: Ist etwas zu klären, zu machen, zu entscheiden, sind Ziele festzulegen oder ist etwas genauer zu erfassen…. Der innere Wettstreit lähmt uns. Als Folge fühlen wir uns erschöpft, unsere Vorhaben bleiben unerledigt liegen.

Aber wie können wir unseren Wesenskern entdecken? Wie können wir ihn befreien? Wie können wir den Kern aufgreifen und bewusst zu einem Ausdruck bringen? Die einzelnen Wesen durch eine bewusste Führung nach dem Wesenskern ausrichten? Unsere Wesen zähmen, dass sie sich nicht in einem Wettstreit verausgaben, sondern in einem konstruktiven Miteinander zusammenwirken, um die täglichen Situationen erfolgreich zu gestalten?

Wir Menschen haben die großartige Gabe, uns unser Wesen selbst bewusst machen zu können. Wir haben die Möglichkeit, eine konkrete Vorstellung unseres Wesens zu entwickeln, wie die Wesen in uns veranlagt sind und wie wir sie aktiv ausrichten und unser Leben nach ihnen bewusst gestalten können. Wir können unser Wesen selbst befreien! Doch wie funktioniert das? Wie können wir unseren Willen befreien? Unserer Affekte? Wie werden wir Herr unseres Tuns? Der Weg dahin besteht in dem Bewusstwerden unseres Wesens, indem wir eine ganz konkrete, eigene Vorstellung von den einzelnen Wesen entwickeln: was sie ausmacht, welche Eigenschaften sie haben und wie wir sie gezielt aufgreifen und sie für unsere Zwecke, für unser Handeln einsetzen können.

Dahin gibt es verschiedene Wege. Viele beten, andere meditieren, machen Yoga, tanzen sich in Trance, räuchern oder essen wilde Kräuter. Ich möchte hier einen weiteren Weg vorstellen: das genaue Betrachten und Auseinandersetzen mit Tieren. Indem wir uns Tiere anschauen, uns die Grundmuster ihres Wesenskerns bewusst machen, uns ihre prägenden Eigenschaften veranschaulichen, erkennen, wie sie ihr Wesen zu einem Ausdruck bringen, können wir diese Grundmuster auch in anderen Situationen „sehen“: bei Pflanzen, Landschaften, Menschen und auch bei uns selbst. Der Ansatz ist keinesfalls neu, sondern findet sich zum Beispiel wieder bei den Betrachtungen der Krafttiere in schamanischen Traditionen oder bei den heiligen Tieren im Hinduismus. Ich habe den Ansatz lediglich aufgegriffen und methodisch weiter ausstaffiert, so dass wir unser Wesen gezielt ergründen und unser Handeln danach ausrichten und befreien können. Als Resultat erfüllt uns mehr und mehr eine innere Ordnung, die durch unser Handeln auch zu einer Ordnung im Äußeren führt.