Ein Jahr geht zu Ende. Es war ein schweres Jahr und die Folgen der Kriege, der Inflation, der Wirtschaftskrise, des Klimawandels spürt nahezu jeder. Viele fragen sich: Wie können wir uns unser Leben noch leisten? Was mag die Zukunft bringen? Wird’s besser? Wird’s schlimmer? Nun, ich möchte da gar keine Prognose wagen. Fragen wir uns stattdessen doch einmal: Was können wir selbst mit unseren eigenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation beitragen? Doch um diese Frage zu beantworten, fragen wir uns vorab:
Was wollen wir wirklich?
Klar wir wollen eine gesicherte Existenz, genug zu essen, genug zu trinken, Gesundheit, ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit, in Sicherheit leben und das bitte in einem gewissen materiellen Wohlstand.
Ja sicher. Doch ist das alles? Neben den materiellen Dingen, die wir wollen, möchten wir sie doch auch auf eine Art verwirklichen, die für uns passt, so dass wir uns dabei wohlfühlen. So möchten wir mit dem Essen nicht nur unser Grundbedürfnis befriedigen, satt zu werden. Wir möchten, dass uns das Essen schmeckt, dass es gut zubereitet ist, dass der Verzehr des Essens zu einer Freude und durchaus auch zu einem Genuss wird. Gerne in Gesellschaft. Denn im Miteinander schmeckt’s einfach besser.
Und diese Sehnsucht, unsere materiellen Bedürfnisse im Miteinander auf einer angemessenen Art zu befriedigen, haben wir nicht nur beim Essen. Wir haben diese Sehnsucht im Grunde in all unseren Lebenssituationen.
Doch sind wir uns dessen meistens gar nicht bewusst. Wir unterdrücken diese Sehnsucht regelrecht, in dem sich jeder einzelne mehr und mehr darauf ausrichtet, was er nach seinen Vorstellungen erreichen möchte. Und das bitte immer besser, immer schneller, immer billiger. Survival of the fittest wird zur Maxime erklärt, die jedem einzelnen in dieser Gesellschaft ein möglichst gutes Überleben sichern soll.
Und das Miteinander? Ach das ist doch lästig. Da muss ich mich ja auf andere einlassen. Muss Rücksicht nehmen. Das steht doch der Verwirklichung meiner Ziele nur im Weg. Denn für meine Ziele engagiere ich mich, dafür setze ich mich ein. Und die Mitmenschen? Die betrachte ich bestenfalls als erforderliche Erfüllungsgehilfen, um meine Vorstellung zu verwirklichen, oder als Gegner, die dem Erreichen meiner Ziele im Wege stehen. Doch so steht jeder für sich alleine da. So sehen wir gar keinen Sinn mehr in der Gestaltung des Miteinanders und in der Folge verödet es.
Die Tiere machen es uns vor
Doch wie geht es besser? Schauen wir bei den Tieren. Sie machen es uns vor. Betrachten wir zum Beispiel eine Schar fliegender Gänse. Die ordnen sich immer zu einer V-Formation: eine Gans fliegt voran, und die anderen fliegen schräg versetzt in ihrem Windschatten. Und da das Fliegen in der Spitze der Formation besonders anstrengend ist, wechseln sich die Gänse in ihren Positionen ab. Das Fliegen in der V-Formation ist viel kräftesparender, als wenn sich jede Gans für sich alleine auf den Weg macht.
Die Flugformation schafft eine Ordnung, die jede einzelne Gans ausrichtet. Die Grundlage dieser Ordnung ist der Flug im gegenseitigen Windsschatten. Er stellt eine Art Wert dar, mit dem die Gänse ihr Ziel kräftesparend erreichen. Dabei findet der Wert durch das Zusammenwirken der Gänse einen geordneten Ausdruck. Doch die Gänse machen das instinktiv. Sie fliegen nicht bewusst im Windschatten, ihnen ist der Wert, den diese Flugformation bietet, nicht gegenwärtig.
Jetzt haben wir Menschen nicht diese instinktiven Programme wie die Tiere. Stattdessen haben wir unser Bewusstsein. Wir Menschen haben die großartige Fähigkeit, bewusst einen Wert für eine Situation schaffen zu können und ihn zum Ausdruck zu bringen. Wir können selbst eine tragende Ordnung schaffen. Betrachten wir dazu folgendes Beispiel:
Himmel und Hölle
Einst kam ein Mann zum Propheten Elias. Ihn bewegte die Frage nach Himmel und Hölle, denn er wollte seinem Leben einen Sinn geben.
Da nahm ihn der Prophet bei der Hand und führte ihn durch dunkle Gassen in einen großen Saal. In der Mitte des Saals stand ein großer Kessel, in dem eine köstlich duftende Suppe brodelte. Neben dem Kessel lagen gusseiserne Löffel. Als eine Gruppe hungriger Menschen in den Saal trat, griff jeder sofort nach einem Löffel. Doch sie mussten feststellen, dass die Löffel für sie viel zu schwer, zu lang und zu unhandlich waren, um sie zu heben, um damit die Nahrung zum Mund führen zu können. Da wurden die hungrigen Menschen wütend. Sie fingen an zu schimpfen, und als ihr Hunger, ihre Verzweiflung größer wurde, begannen sie, sich zu prügeln.
Da fasste Elias seinen Begleiter am Arm und sagte: „Siehst du, das ist die Hölle.“
Die beiden verließen den Saal und traten bald in einen anderen. Auch in diesem Saal stand ein Kessel mit Suppe und daneben lagen die großen Löffel. Und auch in diesen Raum trat eine Gruppe hungriger Menschen, die sofort nach den Löffeln griffen. Auch sie merkten, dass die Löffel unhandlich und schwer waren. Doch einer sagte zu seinem Nachbarn: „Komm hilf mir, der Löffel ist für mich allein viel zu schwer. Ich kann ihn gar nicht heben. Doch zu zweit kriegen wir das sicher hin.“ Und zusammen tauchten sie den Löffel in den Kessel. Gemeinsam schöpften sie die begehrte Suppe. Doch als sie den Löffel zum Mund führen wollten, stellten sie fest: „Der Löffel ist viel zu groß. Wir können ihn gar nicht zu unserem Mund führen. Wir können die Suppe gar nicht essen.“ Keck sprang ein Dritter ein und forderte die beiden auf: „Kommt füttert mich!“ Gesagt, getan. Als die anderen das sahen, fingen sie auch an, gemeinsam die Löffel in die Suppe zu tauchen und sich gegenseitig zu fütterten. Dabei wechselten sie sich in ihren Rollen ab, jeder fütterte mal und wurde mal gefüttert. So wurden alle satt. Der Saal war erfüllt von dem freudigen Summen angeregter Unterhaltung.
Und der Prophet Elias sagte zu seinem Begleiter: „Siehst du, das ist der Himmel.“
Sehen wir uns die Geschichte genauer an:
In der Hölle ist jeder der hungrigen Menschen auf sich allein gestellt. Jeder hat das Bedürfnis, satt zu werden. Dieser Wille ist die treibende Kraft. Der Wille veranlasst die Personen zu einem bestimmten Handeln. Doch je mehr die Hungrigen merken, dass sie ihr Ziel mit eigenen Mitteln nicht erreichen können, umso mehr verkrampfen sie sich in ihrem Willen, sie werden wütend und betrachten die Mitmenschen als ihre Feinde. Das Miteinander verhärtet sich immer mehr, bis es in eine handgreifliche Streiterei ausartet. Dabei verlieren die hungrigen Menschen ihr eigentliches Bedürfnis – nämlich satt zu werden – völlig aus den Augen.
Und im Himmel? Auch da sind die Menschen hungrig. Auch sie haben das Bedürfnis satt zu werden. Doch sie treten über ihren reinen Willen – satt zu werden – hinaus und fragen sich: Wie kriege ich das hin? Sie erkennen, dass sie die Hilfe der anderen benötigen. Einander zu helfen, sich gegenseitig zu unterstützen und sein Handeln darauf auszurichten, ist die gebotene Strategie in dieser Situation. Das gemeinsame Gestalten, das gemeinsame Tun weist den Weg ins Miteinander. Und im Miteinander finden die Hungrigen eine passende Lösung. Schließlich werden alle satt. Dieser Weg – also die Art des gegenseitigen Fütterns und Gefüttert-Werdens – ist der Wert, der in der Situation geschaffen wird. Indem alle Beteiligten ihr Handeln nach diesem Wert ausrichten, entsteht eine neue Ordnung.
Das Erschaffen eines neuen gemeinsamen Wertes ähnelt dem Schleifen eines Diamanten: Der Rohdiamant macht noch wenig her, doch durch das Feilen, Schleifen und Polieren fängt der Diamant schließlich an zu strahlen. Der Wert des Diamanten tritt zutage. Ebenso stellt eine gemeinsam entwickelte Lösung einen Wert an sich dar, der die konkrete Situation in einem neuen Licht erstrahlen lässt, der eine neue Ordnung schafft.
Die neue Ordnung entsteht in drei Ebenen:
- Die Beteiligten gelangen selbst zu einer inneren Ordnung. Jedem einzelnen wird bewusst, was er in der Situation wirklich will, was ihm wichtig ist. So kann jeder einen klaren Standpunkt beziehen und vertreten.
- Es wird eine Ordnung für das Miteinander geschaffen. Die Beteiligten treten in einen konstruktiven Austausch. Dabei beziehen sie nicht nur ihre eigenen Positionen, in dem Miteinander entstehen auch neue Perspektiven, neue Möglichkeiten. Zusammen schöpfen sie einen Wert und jedem wird dabei bewusst, was sie im Miteinander eigentlich wollen.
- Durch den neu geschaffenen Wert wird eine neue Ordnung für die gesamte Situation geschaffen. Die Situation wird neu ausgerichtet und gestaltet, so dass es für jeden der Beteiligten passt.
Dabei entwickelt sich die neue Ordnung auf den drei Ebenen in einem eng verzahnten Zusammenspiel. Schließlich fügen sich die Ebenen zu einem verbindenden Ganzen zusammen. Dann erfüllt und trägt uns ein Einheitsgefühl – es entsteht Harmonie. Als Resultat entstehen Synergien – gemeinsam geschaffene Lösungen, die mehr sind als die Summe der isoliert betrachteten Beiträge der einzelnen Personen.
In der nachfolgenden Abbildung wird dieser Zusammenhang veranschaulicht: Der gemeinsam geschaffene Wert (zentraler Diamant) für die vorliegende Situation (großer alles umfassender Kreis) richtet die Kern-Zone jeder der beteiligten Personen aus (drei kleine Kreise in unterschiedlichen Farben) und erweitert ihre Toleranz-Zonen (große sich überschneidende und durchmischende Kreise um die kleinen Kreise), so dass im konstruktiven Miteinander neue Perspektiven entstehen, nach denen die ganze Situation neu ausgerichtet werden kann.
Definition der Begriffe:
Situation – eine Begebenheit oder ein Sachverhalt, der einzelne Personen verbindet.
Kern-Zone – die eigene Position einer Person, der eigene Standpunkt, das, was eine Person in einer Situation will.
Toleranz-Zone – Raum in dem eine Person offen ist für andere Meinungen und Ansichten, ohne sich dabei eingeengt zu fühlen.
Eine neue Kultur des Miteinanders
Auf diese Art schaffen wir eine neue Kultur des Miteinanders. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Frage nach dem „Wie“. „Wie“ können wir das „Was“, das uns in einer Situation unter den Nägeln brennt, zu einer guten Lösung bringen? Das „Wie“ ebnet den Weg zur Lösung und schafft gleichzeitig eine Brücke zu den Mitmenschen, so dass sie sich mit ihren verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften einbringen können, die sich ergänzen und unterstützen. Dabei ziehen alle an einem Strang. Als Resultat wird ein Wert geschöpft, der die gesamte Situation neu ausrichtet, der eine neue Ordnung schafft. Das ganze Vorgehen ist geprägt von einer freudigen Leichtigkeit, die uns gleichzeitig erfolgreich werden lässt.
Die Guten Gespräche sind das Mittel, um im Miteinander Ordnung ins Leben zu bringen. Also fangen wir an! Führen wir Gute Gespräche. Dabei beginne jeder erst einmal bei sich selbst und in seinem direkten Umfeld – der Familie, den Freunden. Und wenn wir im kleinen Rahmen die ersten Erfolgserlebnisse erzielt haben, dann schreite jeder mutig weiter voran und lasse die Kreise größer werden: bei den Nachbarn, den Bekannten, im Verein, bei der Arbeit, in der Politik…. Jeder trage mit seinen eigenen Möglichkeiten dazu bei, dass die ordnenden Kräfte unser Leben mehr und mehr durchdringen, bis wir schließlich im konstruktiven Miteinander attraktive und tragfähige Lösungen für unsere großen, drängenden Fragen schöpfen können. Es ist an der Zeit!
Das Buch zum Thema:
In dem Buch wird der in diesem Artikel vorgestellte Ansatz zur Gestaltung des Miteinanders konkret für die Gesprächsführung aufgegriffen und bis in das Machbare heruntergebrochen. Die entwickelte Methode gibt eine sichere Orientierung und einen zuverlässigen Halt in den unterschiedlichsten Gesprächssituationen.
Das Buch ist erhältlich beim Buchhändler Ihres Vertrauens sowie im Versandhandel (BoD, amazon, …).