Der Wesenskern bestimmt „Was“ ich in meinem Leben aufgreife und zu einem Ausdruck bringen will. Um dieses „Was“ zu erreichen, braucht es die Unterstützung der anderen Wesen, der anderen Persönlichkeitseigenschaften. Sie bestimmen „Wie“ ich das „Was“ erreiche. Dafür sind die einzelnen Wesen auf das „Was“ auszurichten. Bei jedem der Wesen kann ich mir ganz gezielt die Frage stellen: Wie möchte ich dieses Wesen gestalten, damit es meinen Wesenskern zu einem Ausdruck bringt?
Und für dieses „Wie“ lassen wir uns von den Eigenschaften der einzelnen Wesen leiten, greifen die zugehörigen Werte auf und bringen sie für unseren eigenen Zweck zu einem Ausdruck. Also zum Beispiel hat jemand den Wesenskern „Klarheit schaffen“. Sein ganzes Sinnen und Trachten ist darauf ausgerichtet, Klarheit zu schaffen. Danach richtet er seine einzelnen Wesen aus. Wenn etwa eine Situation wahrzunehmen ist, dann betrachtet der „Klarheit schaffende“ Mensch die Situation mit einer unvoreingenommenen Neugierde und Interesse. Das sind für ihn die Werte, „wie“ er die Situation erfassen, wie er Klarheit schaffen möchte. Diese richtet er jetzt für seinen Zweck aus. Und so betrachtet er die Situation eingehend und genau, stellt dabei immer neue Fragen, schaut aus immer anderen Perspektiven – solange, bis er ein völlig klares Bild für die Situation entwickelt hat, bis sie für ihn ganz verständlich ist und bis alle auftretenden Fragen beantwortet sind. Ein Mensch mit einem anderen zentralen Wesen verfolgt ein anderes Ziel. Betrachtet ein Mensch die Situation mit dem Wesen „Gestalten“ oder „Helfen“, dann betrachtet dieser die Situation mit den gleichen Werten wie der Klarheit schaffende: mit unvoreingenommener Neugierde und Interesse. Doch richtet er die Werte anders aus. Stellt andere Fragen: Wo gibt es hier für mich etwas zu tun? Wo kann ich hier helfen? In diesem Sinne lässt sich jedes der einzelnen Wesen nach dem Wesenskern ganz spezifisch ausrichten.
Indem wir uns immer klarere, lebendigere, farbigere, konkretere und genauere innere Bilder zu den einzelnen Wesen ausmalen, entwickeln wir unseren eigenen Methodenkoffer, mit dem wir den Wesenskern zu einem Ausdruck bringen. Getragen durch die Vorstellung des „Wie“ können wir den Kern immer leichter und immer authentischer ins Leben bringen. Dagegen tritt der triebhafte Wille mehr und mehr in den Hintergrund. Schließlich wird der Wesenskern für uns zu einem prägenden Wert, der unabhängig von einer Situation existiert, den wir verkörpern und der uns eine bewusste, sichere Orientierung im Alltag bietet. Als Resultat entsteht eine innere Ordnung.
2 Beispiele
In dem ersten Beispiel betrachten wir eine Person, deren Wesenskern, deren zentraler Wert es ist, in den täglichen Situationen Klarheit zu schaffen. Als Symbol mag der Rauchquarz dienen, in dem das Trübe in der Basis zur Spitze des Kristalls immer heller und klarer wird. Menschen mit dieser Eigenschaft zeichnen sich durch eine große Hingabe, eine große Leidenschaft aus, mit denen sie ihre Aufgaben wahrnehmen. Sie haben die Tendenz, ihre Aufgabe konzentriert zur Perfektion zu treiben. Sie schaffen Klarheit für eine ganz konkrete Frage, auf die sie sich konzentrieren. Dabei ist ihnen aber eine Aufgabe genug. Etwa beobachten sie ganz konzentriert eine Situation und geben sich nicht eher zufrieden, bis sie ein möglichst vollständiges, detailliertes und klares Bild von dieser Situation haben. Sie fokussieren sich ganz auf diese eine Aufgabe, auf den einen Wesenszug und blenden dabei die anderen Wesen aus. Und haben sie die Aufgabe erledigt, dann greifen sie die nächste auf, zum Beispiel einen Entschluss zu fassen, und schaffen auch hier wieder Klarheit mit der gleichen Hingabe und Intensität. In dem Bild sind die einzelnen Wesen oder Persönlichkeitseigenschaften durch Tiere dargestellt, die die entsprechenden Merkmale mit einer großen Perfektion aufweisen. Der umfassende Kreis ist tief rot dargestellt, kennzeichnend für die hohe Intensität, für die Konzentration und Hingabe, mit der die Aufgaben wahrgenommen werden.
Das nächste Beispiel beschreibt einen ganz anderen Personentyp. Der Wesenskern ist Helfen oder Gestalten. In diesem Fall sind die Tätigkeiten geprägt durch ein freudiges Miteinander der Wesen und einer Leichtigkeit, dargestellt durch den gelben Kreis. Auch hier verkörpert jedes der einzelnen Wesen den entsprechenden Grundbedarf. Doch die Wesen sind längst nicht so extrem ausgebildet wie in dem vorigen Beispiel. Sie wirken kleiner, durchaus niedlich und sympatisch. Sie sind viel flüchtiger als in dem anderen Beispiel, viel weniger ausgeprägt, lassen sich leichter ablenken. Dafür gestalten die Wesen ihre Aufgaben im Miteinander. Das Helfen erfordert das koordinierte Zusammenspiel aller Persönlichkeitsmerkmale, die in einer konkreten Situation mit einer leichten Hand auszurichten sind, damit die Hilfe für den anderen Menschen passt.
Der eigene Wesenskreis
Jeder kann sich jetzt die Frage stellen: wie sieht mein eigener Wesenskreis aus. Dabei ist es oft hilfreich, von Außen nach Innen vorzugehen. Im Tierreich finden wir passende Anregungen indem wir uns die Frage stellen: welche Tiere entsprechen meinen unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen? Welche Eigenschaft ist bei mir stark und welche ist weniger ausgeprägt? Wie spielen die einzelnen Wesen bei mir zusammen? Bin ich mehr der fokussierte Typ, der bei einer Aufgabe ganz klar ein Wesen in den Vordergrund stellt oder liegt mir mehr das Verbindende, Ausgleichende zwischen mehreren Wesen. Und zu guter Letzt kommen wir zu der Frage: welche der Persönlichkeitsmerkmale in den einzelnen Wesen ist bei mir das Dominante? Welches der Wesen macht mich aus? Was ist mein Wesenskern? Was ist mein zentraler Wert? Und was ist dafür das passende Symbol, das Bild das ich in den inneren Kreis einfüge? Nach dieser Bestandsanalyse geht es weiter. Jetzt sind die einzelnen Wesen nach dem Wesenskern auszurichten. Das geschieht anhand der Frage: Wie möchte ich die einzelnen Wesenszüge zum Ausdruck bringen, so dass sie meinen Wesenskern unterstützen? Dafür habe ich mir die einzelnen Eigenschaften der Wesen bewusst zu machen. Auch hierbei ist es wieder hilfreich, sich Tiere anzuschauen. Was ist der Wesenszug des Tieres? Wie verkörpert es ihn? Welche der Eigenschaften sind für mich attraktiv? Wie kann ich diese Eigenschaften für mich selber aufgreifen? Und haben wir unsere einzelnen Wesen alle ausgerichtet, dann stellt sich die Frage: Wie kann ich meine Wesen gezielt aktivieren, mein Handeln nach ihnen ausrichten, um gute Resultate zu erlangen?
Das Ganze ist keine schöngeistige Gymnastik. Während des gesamten Vorgehens beobachten wir bewusst unser Verhalten und richten es gezielt nach unseren Erkenntnissen aus. Dabei stellen wir fest: es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Anfangs ist es durchaus ungewohnt, sich selbst zu beobachten. Es kostet Überwindung und Mut. Es ist gar nicht so einfach, den eigenen Wesensmerkmalen auf die Schliche zu kommen, sie zu erkennen und auszudrücken. Neben den Selbstbetrachtungen können dabei Gespräche im Familienkreis oder unter Freunden sehr hilfreich sein. Wie nehmen andere mich wahr? Stimmt meine Einschätzung? Wo gibt es Abweichungen? Und weiter bei der Ausrichtung der Wesen stellen wir fest, dass unser Verhalten gar nicht so leicht mit unseren Zielvorstellungen in Einklang zu bringen ist. Auf dem gesamten Weg treffen wir durchaus auf Schwierigkeiten und Hindernisse. Es fordert unseren Einfallsreichtum und unser Geschick heraus, die Widerstände zu überwinden. Doch mit der klaren Ausrichtung treten wir ihnen entgegen. Dabei lassen wir uns von unserem Wesenskern leiten, spüren ihn auf, erkennen ihn mehr und mehr, ergründen ihn und richten uns selbst und unser Handeln immer konkreter nach ihm aus. So werden uns die Eigenschaften all unserer Wesen immer bewusster, immer vertrauter und wir können unsere täglichen Situationen immer gezielter, immer sicherer, immer leichter, und souveräner gestalten. Der triebhafte Wille tritt immer mehr in den Hintergrund und wir richten uns immer leichter, immer selbstverständlicher nach den Werten aus, die mit den unterstützenden Wesen verknüpft sind. So bringen wir durch die Unterstützung der Wesen unseren Wesenskern immer authentischer zu einem Ausdruck.
Auf dem Weg ist es eine gute Grundhaltung, sich selbst nicht so ernst zu nehmen, über sich lachen zu können, eine gelöste Heiterkeit zu entwickeln, sich über seine entlarvten Macken und Schrullen, sich über seine neu entdeckten Fähigkeiten zu freuen und die sich einstellenden Erfolge bewusst wahrzunehmen und willkommen zu heißen.
Auf diese Weise kann jeder Schritt für Schritt seine inneren Wesen befreien, sich ihrer Werte bewusst werden, sie formen, entwickeln und in die Gestaltung der täglichen Situationen einbringen. Durch die gezielte Ausrichtung der einzelnen Wesen befreien wir unseren Wesenskern. Wir überwinden unseren treibhaften, zwanghaften Willen. Stattdessen wird der Kern getragen durch unsere selbst entwickelte Vorstellung der einzelnen Wesen. Dabei erkennen wir mehr und mehr, dass der bewusst gewordene Wesenskern in uns einen Wert darstellt, der unabhängig von einer konkreten Situation oder von uns selbst existiert. Schließlich verkörpern wir diesen Wert. Er gibt uns eine Orientierung, nach dem wir unser Handeln in den unterschiedlichen Situationen gezielt ausrichten können. Als Resultat werden wir selbstbestimmt. Wir werden Herr unserer Affekte, unserer Tugenden, unseres Willens und unserer Handlungen. Uns erfüllt eine innere Ordnung, die unser Handeln, die unser Fühlen und Denken, die unsere gesamte Persönlichkeit ausrichtet.