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Ziele

Xanthippe: Sokrates, kennt Du das auch. Meine Tage sind prall gefüllt, ich mache dies ich mache das, ich bin die ganze Zeit beschäftig, doch wenn ich abends auf den Tag zurückblicke dann habe ich das Gefühl, die Zeit ist wie zerrieselt. Was habe ich eigentlich gemacht? Was habe ich aufzuweisen? Nichts! Und trotzdem fühle ich mich erschöpft und frage mich frustriert: Was war der Sinn und Zweck dieses Tages?

Sokrates: Oh ja das kenne ich zu gut. Dazu fällt mir eine Geschichte ein:

Steine, Kiesel, Sand

Ein Lehrer versuchte seinen Schülern durch ein praxisbezogenes Beispiel etwas für ihr Leben zu vermitteln. Als der Unterricht begann, nahm er ein großes leeres Glas und füllte es bis zum Rand mit großen Steinen, anschließend fragte er seine Schüler ob das Glas voll sei. Natürlich stimmten sie ihm zu.

Der Lehrer nahm nun eine Schachtel mit Kieselsteinen, schüttete sie in das Glas und schüttelte es leicht. Die Kieselsteine rollten natürlich in die Zwischenräume der größeren Steine. Dann fragte er seine Schüler erneut ob das Glas jetzt voll sei. Sie stimmten wieder zu.

Der Lehrer kramte einen weiteren Behälter hervor, diesmal mit Sand gefüllt und schüttete ihn in das Glas. Sofort füllte der Sand die letzten Zwischenräume im Glas aus. Nun sagte der Lehrer zu seinen Schülern: “Dieses Glas sollte so sein wie Ihr Leben!“

“Die STEINE sind die wichtigsten Dinge im Leben. Ihre Gesundheit, Ihr Partner, Ihre Kinder, Ihre Freunde. Dinge, die – wenn alles andere wegfiele und nur sie übrig bleiben würden – Ihr Leben immer noch erfüllen würden.

Die KIESELSTEINE sind andere, schon weniger wichtige Dinge. Ihre Arbeit, Ihre Wohnung, Ihr Haus oder Ihr Auto.

Der SAND symbolisiert die kleineren Dinge im Leben, die untergeordnet und nebensächlich sind.“

Der Lehrer ließ nun seine Worte ein wenig wirken, trat vor seine Schüler und sagte abschließend in einem ruhigen Ton: “Achten Sie zuerst auf die großen Steine, sie sind es, die wirklich zählen im Leben. Wenn Sie den Sand oder die Kieselsteine zuerst einfüllen, bleibt kein Platz mehr für die großen Steine. Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Familie und Ihre Freunde, achten sie auf Ihre Gesundheit. Es wird noch genug Zeit bleiben für Ihre Arbeit und Ihre Hobbys. Und der Rest ist nur Sand.“

Xanthippe: Ja schöne Geschichte. Doch sag mal ehrlich, wie können wir nach dem Bild mit den Steinen, Kieseln und dem Sand konkret unseren Alltag verbessern? Wie sorge ich dafür, dass ich meinen Zielen den passenden Stellenwert einräume, dass sie nicht im Trubel der täglichen Geschäftigkeit untergehen?

Sokrates: Ja allzu oft ertappe ich mich auch dabei, wie mein Tag nur mit „Sand“ ausgefüllt ist. Ich mache und tue all das, was erforderlich ist, was von mir verlangt wird und komme gar nicht dazu, mir die Frage zu stellen: Was ist mir eigentlich wichtig?

Xanthippe: Und ehrlich gesagt traue ich mir auch gar nicht so richtig, diese Frage zu stellen. Das ist doch so egoistisch.

Sokrates: Aber das ist ein gesunder Egoismus. Wer nur den Anforderungen anderer Menschen entspricht, fließt leicht aus. Da geben wir bereitwillig den kleinen Finger doch ehe wir es uns versehen wird an der ganzen Hand, dem ganzen Arm oder gar der gesamten Person gezogen.

Xanthippe: Ja und dann komme ich aus der Nummer nicht mehr raus. In der Folge fühle ich mich elend, wie ausgezehrt.

Sokrates: Hilfsbereitschaft ist ja eine gute Sache. Sie sollte aber nicht selbstlos sein, nicht mit Selbstaufgabe verwechselt werden. Und damit wir uns mit der Hilfsbereitschaft nicht völlig aufgeben, brauchen wir für die ziehende Hand einen Gegenpol. Etwas, das uns wichtig ist, etwas das wir wollen, das uns eine Stabilität gibt, das uns Kraft verleiht, um dem Zug der Hand entgegenzuwirken und unsere Hilfsbereitschaft in einem für uns angemessenen Rahmen zu halten.

Xanthippe: Ah so. Und dafür brauchen wir ein Ziel, etwas, das für uns so attraktiv ist, dass wir es einerseits erreichen wollen und wofür wir auf der anderen Seite bereit sind, uns in den gestellten Anforderungen abzugrenzen, um das Ziel zu schützen.

Sokrates: Ja genau und dieses Ziel erheben wir zum Maßstab für die Situation. Und wenn jetzt jemand etwas von uns möchte, dann prüfen wir: Wie passt das mit dem eigenen Ziel zusammen? Wie, in welcher Form kann ich helfen, ohne dass ich dabei mein Ziel aufgebe?

Xanthippe: Auf diese Art ordnen wir der Anforderung einen angemessenen Stellenwert zu. Wir ziehen selbst die Grenze: bis hierhin und nicht weiter. Durch das Ziel können wir diese Grenze ziehen und sie im Weiteren auch verteidigen und einhalten.

Sokrates: Die Ziele sind die Voraussetzung, dass wir aus einer eigenen Haltung heraus unsere Hilfe anbieten können – ohne dabei auszufließen, ohne uns dabei aufzugeben. Wir sind bereit zu helfen, aber wir stellen eigene Bedingungen für unsere Hilfe, indem wir auf unsere eigenen Interessen achten. Wir grenzen uns selbst ab.

Xanthippe: Es ist wie auf einer Handwaage. Auf der einen Waagschale liegt die Anforderung, die ich zu erfüllen habe und auf der anderen Waagschale liegt mein Ziel.

Sokrates: Und diese beiden ‚Gewichte‘ habe ich aktiv auszutarieren, habe sie für mich in ein passendes Gleichgewicht zu bringen.

Xanthippe: Und ich hatte immer gedacht, den eigenen Zielen nachzugehen sei egoistisch, ich würde nur mein Interesse kennen und das nach Möglichkeit durchsetzen ohne Rücksicht auf Verluste.

Sokrates: Das kommt ganz darauf an, wie wir mit unserem Ziel umgehen. Ob wir nur noch starr auf unser Ziel fixiert sind oder ob wir auch bereit sind, nach rechts und links zu schauen und auf andere zu achten. Aber das ist weniger eine Frage des Ziels selbst, als vielmehr eine Frage, wie ich meinen ganz persönlichen Weg zum Ziel beschreite, wie ich mein Ziel erreichen möchte.

Xanthippe: Schön. Und wie passt das jetzt mit den Steinen, den Kieseln und dem Sand zusammen?

Sokrates: Das Dilemma ist: wir haben mehrere Ziele. Und genau so, wie wir die Anfragen von anderen Personen für uns einzuordnen haben, haben wir auch unsere Ziele zu strukturieren und zu priorisieren.

Xanthippe: Ja zuerst brauchen wir die wichtigen Ziele. Das sind die Steine.

Sokrates: Doch achte darauf, dass es nicht zu viele Steine sind. Für mich reichen drei oder vier Steine völlig.

Xanthippe: Ach so, denn sonst finde ich gar keine Zeit mehr, den Zielen nachzugehen, um sie zu verwirklichen. Sonst verliere ich mich in den Zielen und bringe keins zum Erfolg. Ich habe aktiv dafür zu sorgen, dass ich dem Ziel, das mir wichtig ist, auch die entsprechende Zeit, den entsprechenden Raum einräumen kann.

Sokrates: Und als nächstes kommen die Kiesel, das können durchaus mehrere sein.

Xanthippe: Dabei sind die Kiesel nicht nur eigene Ziele, sondern auch wichtige Aufgaben, die ich bereit bin aufzugreifen, für die ich bereit bin, mich einspannen zu lassen.

Sokrates: Zu guter Letzt kommt noch der Sand. Das sind dann die ganzen kleineren Tätigkeiten und Aufgaben, die wir in unseren Alltag erledigen.

Xanthippe: Doch bei dem Sand ist die größte Vorsicht geboten!

Sokrates: Ja da ist ganz besonders darauf zu achten, dass er zu den Steinen passt, dass wir nicht mit kleinen Aufgaben so zugemüllt werde und darin ersticken.

Xanthippe: Aha! Es sind also die großen Steine, nach denen ich die ganzen Kiesel und den Sand ausrichte. Und jeder Mensch macht das für sich ganz individuell.

Sokrates: Ja die großen Steine sind die Maßstäbe, nach denen wir uns ausrichten, nach denen wir entscheiden, wieviel Kiesel und Sand wir noch im Glas haben wollen. Und wenn noch etwas Luft im Glas bleibt ist das auch gut, die braucht‘s zum Atmen.

Xanthippe: Doch fehlt dieser ausrichtende Maßstab, fehlen mir meine wichtigen Ziele, dann wird der Tag nur durch den Sand und bestenfalls durch einige Kiesel ausgefüllt. Dann habe ich für das Wichtige gar keine Zeit mehr.

Sokrates: Es ist sogar noch schlimmer. Wenn ich keine Ziele habe, dann weiß ich gar nicht, was mir wichtig ist. Dann kann ich mich gar nicht aus eigenen Stücken dafür einsetzen, meine täglichen Situationen zu gestalten und zu verbessern.

Xanthippe: Ja das Ziel richtet mich aus. Es prägt mein Denken, Fühlen und Handeln. Es gibt mir einen Sinn.

Sokrates: Das wusste schon die alten Chinesen:

Wer das Ziel kennt, kann entscheiden.

Wer entscheidet, findet Ruhe.

Wer Ruhe findet, ist sicher.

Wer sicher ist, kann überlegen.

Wer überlegt, kann verbessern.

Konfuzius

Xanthippe: Aber Sokrates sag, wie finden wir geeignete Ziele? Ziele, die uns eine sinnvolle Ausrichtung geben? Für die es sich lohnt, sich zu engagieren?

Sokrates: Ja das ist natürlich eine zentrale Frage. Aber nicht alles auf einmal, lass uns darüber ein anderes Mal sprechen.

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