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Eine Frage der Würde

Nicht was du bist
ist‘s, was dich ehrt,
wie Du es bist
bestimmt den Wert.

Friedrich Rückert

Xanthippe: Sag Sokrates, was ist eigentlich Würde und wie können wir sie erlangen?

Sokrates: Ja, der Begriff der Würde wird vielfältig verwendet und sorgt für manches Missverständnis. Für mich bedeutet Würde, ein eigenständiger Mensch zu sein. Sich seines Wertes bewusst zu sein und diesen im Denken, Fühlen und Handeln authentisch zum Ausdruck zu bringen. Der Wert wird zum führenden Maßstab im Leben. Er richtet mich auf, prägt und stärkt mein Ich, verleiht mir Orientierung, Sicherheit und Zuversicht.

Xanthippe:  Oder anders ausgedrückt: Du bist selbstbewusst.

Sokrates: Schon, doch ganz anders, als dieses Wort üblicherweise gebraucht wird. Oftmals verstehen wir unter Selbstbewusstsein, seine Ansprüche mit Nachdruck durchsetzen zu können oder die Fähigkeit, gestellte Aufgaben erfolgreich durchzuführen. Dann stehen wir da, kraftvoll, mit stolzgeschwellter Brust. Vielleicht bekommen wir sogar einen Orden für unsere Tat. Wir fühlen uns toll und warten begierig auf die nächste Aufgabe, in der wir unsere Kraft und unsere Fähigkeiten wieder unter Beweis stellen können.

Xanthippe: Ja und mit jeder Aufgabe werden wir in unserem Handeln immer sicherer, wir meistern die Aufgaben mit immer leichterer Hand. Und so werden wir würdevoll.

Sokrates: Halt! Stopp! Schau genau hin! Was haben wir hier? Was ist hier die treibende Kraft für das Handeln?

Xanthippe: Nun ja, ich glaube es ist die Anerkennung, die ich für meine geleistete Arbeit erhalte.

Sokrates: Genau. Die Anerkennung ist die Triebfeder. Doch die haben wir selbst gar nicht im Griff. Dennoch machen und tun wir, damit wir von den anderen Menschen gelobt werden. Dann fühlen wir uns wohl. Wir biedern uns an. Und machen wir uns nichts vor, daran ist nichts Eigenständiges.

Xanthippe: Stimmt. Es erinnert an das Pferd, das einer Möhre hinterherjagt, die es doch nie erreichen kann.

Sokrates: Ja genauso jagen wir unseren Aufgaben hinterher. Wir sind angetrieben von Außen. Das Außen richtet uns aus, bestimmt unser Verhalten. Wir passen uns immer mehr an, den äußeren Anforderungen möglichst gut zu entsprechen. Und haben wir eine Aufgabe erfüllt, dann brauchen wir sofort die nächste Aufgabe, um vor unserer inneren Ödnis und Leere zu fliehen.

Xanthippe: Aber ein erfolgreicher Mensch ist doch Würdevoll. Schau zum Beispiel die Militärs, in ihrer Uniform, mit ihren ganzen Orden.

Sokrates: Bitte schau genau hin! Oftmals werden unsere Geschäftsführer, Militärs oder Minister in ihrer Position getragen von dem Stolz, den ihnen ihre Aufgabe verleiht, durch die Anerkennung, die ihnen entgegengebracht wird, durch die Macht, die sie ausüben. Und sie brauchen die Anerkennung, den Status, den Respekt. Es ist ihre Triebfeder. Nur allzu oft sind sie davon abhängig. Ohne ihre Aufgabe sind sie nackt und leer.

Xanthippe: Du meinst wie in dem Märchen: des Kaisers neue Kleider?

Sokrates: Ja genau. Die ganze Anerkennung und der Status funktionieren nur so lange, wie es keiner in Frage stellt.

Xanthippe: Und wenn es in Frage gestellt wird, wenn auf einmal die gesamte Maskerade enttarnt wird, dann ist plötzlich der gesamte Stolz weg. Auf einmal gibt es nichts mehr, was dem stolzen Menschen noch Halt bietet.

Sokrates: Ja und deshalb verbirgt sich hinter dem Stolz oft die Angst, dass die Maske oder die Aufgabe entfernt wird. In der Folge wird die Maske immer mehr aufpoliert, immer mehr verbessert, damit es doch bitte keiner wage, hinter die Maske zu schauen, damit keiner die Ödnis, die Leere erkenne, die sich dahinter verbirgt. Diese Art von Stolz ist ganz klar von Würde zu trennen.

Xanthippe:  Du meinst Stolz kommt von außen und Würde kommt von innen?

Sokrates:  Genau. Stolz bin ich auf eine Aufgabe, die ich erfolgreich erledigt habe, oder die Position, die ich erlangt habe. Und dieses Ereignis richtet mich auf, verleiht mir Anerkennung und Macht. Dabei ist diese Art von Stolz durchaus attraktiv und erstrebenswert; schließlich ist sie eine treibende Kraft in unserer Gesellschaft und sichert unseren Wohlstand. Doch achte man darauf, dass Stolz immer aus einer Ausrichtung auf das Außen resultiert und dass man von dem Außen nicht abhängig wird. Würde hingegen resultiert aus unserem inneren Wert.  

Xanthippe: Doch wie können wir Würde erlangen?

Sokrates: Zuerst haben wir uns unseres inneren Wertes bewusst zu werden. Was macht mein Ich wirklich aus? Was ist der Kern meines Wesens? Was prägt mich als Person?

Xanthippe: Hm, na ja, das ist schon eine gute Frage. Doch wie finde ich darauf eine Antwort?

Sokrates: Der Schlüssel dazu sind unsere seelischen oder persönlichen Bedarfe. Diese prägen unsere Persönlichkeit:

Xanthippe: Ach so. Und dabei gibt es bei uns Menschen jeweils einen Bedarf, der uns maßgeblich prägt, der für uns so zentral ist, dass wir ihn mit unserer ganzen Person zu einem Ausdruck bringen wollen.

Sokrates: Ja wir haben zu schauen, welcher der Bedarfe ist mein zentraler Bedarf? Welche der Persönlichkeitseigenschaften liegen mir am meisten? Welche der Tätigkeiten gehen mir am leichtesten von der Hand? Wobei empfinde ich die größte Freude?

Xanthippe: Und so können wir ermitteln, was unser zentraler Bedarf, was unser Wesenskern ist.

Sokrates: Ja das Erkennen des Wesenskerns ist der erste Schritt. Er bestimmt, „Was“ wir als Person wirklich wollen. Weiter haben wir dann zu schauen, „Wie“ wir diesen Kern für uns zu einem Ausdruck bringen können.

Xanthippe: Und dafür nutzen wir unsere Persönlichkeitseigenschaften, die mit den seelischen Grundbedarfen und den entsprechenden Tätigkeiten verknüpft sind. Mit ihnen bringen wir unseren Wesenskern zu einem Ausdruck.

Der Persönlichkeitskreis: Im Zentrum steht der Wesenskern, der durch die verschiedenen Tätigkeiten zu einem Ausdruck kommt, die durch die verbindende Ordnung koordiniert werden.

Sokrates: Genau, wir richten unsere Persönlichkeitseigenschaften gezielt aus, so dass wir unsern Wesenskern in den verschiedenen Tätigkeiten zu einem guten Ausdruck bringen. So formen wir unseren eigenen Methodenkoffer.

Xanthippe: Dabei sind die Persönlichkeitseigenschaften für alle Menschen dieselben, doch jeder richtet sie entsprechend seinem Wesenskern ganz spezifisch aus.

Sokrates: So hat die eine Person etwa den Wesenskern, Ziele zu formulieren, und richtet ihre Eigenschaften ganz gezielt danach aus: sie erfasst detailliert die Ausgangssituation, entwickelt klare, attraktive Zielbilder und sorgt weiter dafür, dass sie pragmatisch, konkret und exakt umgesetzt werden.

Xanthippe: Und eine andere Person mag den Wesenskern haben, etwas zu vermitteln. Ihr mag es wichtig sein, einfühlsam zu sein und die zu vermittelnde Information so aufzubereiten, dass sie verständlich und unterhaltend rüberkommt.

Sokrates: Ja die Wesenskerne sind sehr unterschiedlich. Doch die Anzahl unserer verschiedenen Tätigkeiten sind überschaubar.

Xanthippe: Die sind durch die seelischen Grundbedarfe gegeben.

Sokrates: Indem ich meine Persönlichkeitseigenschaften nach dem Wesenskern ausrichte, entsteht ein immer klareres Bild, wie ich meinen Kern durch meine Eigenschaften und Fähigkeiten in meinen Tätigkeiten zum Ausdruck bringe.

Xanthippe: Doch das genügt noch nicht. Für unsere konkreten Aufgaben, haben wir unsere Persönlichkeitseigenschaften zu koordinieren, so dass sie sich in ihrer Wirkung konstruktiv unterstützen.

Sokrates: Genau! Und das geschieht mit unserem Veränderungsprozess. Der Prozess koordiniert die einzelnen Tätigkeiten und die damit verbundenen Eigenschaften, so dass der Wesenskern zu einem guten Ausdruck kommt.

Xanthippe: Und dabei ist der Prozess generisch. Er ist für jeden Wesenskern anwendbar.

Sokrates: Er ist nur spezifisch für die jeweilige Situation und den Eigenschaften der beteiligten Personen zu gestalten.

Xanthippe: Ja den Prozess kann ich für mich alleine anwenden, um meinen Wesenskern zum Ausdruck zu bringen. Ich kann ihn aber auch als Grundlage nehmen für die Gestaltung des Miteinanders in einer verbindenden Situation.

Sokrates: Dann steht das Wesentliche der Situation im Vordergrund, das im Miteinander mehr herausgearbeitet wird. Sei es etwa in einem sozialen Prozess, als Innovationsprozess, Prozess in der Pädagogik, in einem Mediationsprozess und so weiter.

Xanthippe: Und dabei sind die Guten Gespräche das Mittel, mit dem wir unseren Austausch im Miteinander gestalten.

Sokrates: Zu guter Letzt entwickle ich für meinen Wesenskern noch ein klares, lebendiges, attraktives, einfaches und passendes inneres Bild. Das Bild konkretisiere und schärfe ich immer weiter, bis es eine zuverlässige Orientierung für das Denken, Fühlen und Handeln in den täglichen Situationen bietet. Durch diesen Feinschliff wird mir mein Wesenskern immer klarer, immer bewusster und schließlich wird er zum tragenden Wert. Dann richtet das innere Bild mich aus. In gewisser Hinsicht fängt der Wesenskern an zu leuchten. Zuerst in meinem Inneren und dann weiter ins Äußere.

Xanthippe: Ah so. Wenn wir uns unseres Kerns so richtig bewusst sind, so dass er unsere gesamte Persönlichkeit prägt und wir den Wert auf authentische Art in unserem Alltag zu einem Ausdruck bringen, dann sind wir würdevoll?

Sokrates: Genau. Die Würde wird getragen durch unseren bewussten inneren Wert, durch unseren Wesenskern. Und indem wir uns immer klarer werden, wie wir diesen Wert zu einem authentischen Ausdruck bringen können, strahlen mehr und mehr Würde aus.

Xanthippe: Und um dahin zu kommen, braucht es eine Entwicklung. Anfangs, wenn wir unseren Wesenskern aufgespürt haben, dann steht noch der Bedarf, dann steht die Sehnsucht im Vordergrund. Dann wollen wir unser Wesen zu einem Ausdruck bringen, wissen jedoch noch gar nicht so recht, wie wir das anstellen sollen. Das führt häufig zu Verkrampfungen, zu Unzufriedenheit und Ärger mit unseren Mitmenschen. Dann sind wir vielleicht so verbockt wie das Rumpelstilzchen.

Sokrates: Doch mit der Zeit entwickeln wir mehr und mehr eine eigene Vorstellung, sammeln unsere Erfahrungen, wie wir unseren zentralen Bedarf zu einem Ausdruck bringen können. So reifen wir. So bringen wir unseren Wesenskern immer leichter, immer souveräner zu einem Ausdruck. Schließlich entsteht ein Wert, den wir verkörpern. Dann sind wir wie ein weiser König – souverän und würdevoll.

Xanthippe: Mir fällt auf: mit der Würde ist die Angst überwunden.

Sokrates: Genau. Ist unsere Würde gut fundiert, dann kann sie ruhig in Frage gestellt werden. Dabei brechen wir uns keinen Zacken aus der Krone. Denn um unser inneres Bild zu entwickeln, stellen wir selbst das Bild immer wieder in Frage, leuchten es aus immer neuen Perspektiven aus. Es ist ein ewiger innerer Dialog. Dabei wird das Bild einerseits immer einfacher und klarer und andererseits können wir immer leichter den Alltag danach meistern. Schließlich wissen wir, was unser Wert ist und wie wir unseren Wert zum Ausdruck bringen. Wir sind uns unseres Wertes, unseres Selbst bewusst.

Sokrates: Und dabei steht nicht das Wollen im Vordergrund, nicht die Position, die ich erlangen möchte, oder die Macht, die ich ausüben möchte. Stattdessen stecken wir unsere Energie in die Entwicklung des inneren Bildes.

Xanthippe: Und in die Entwicklung und Koordination unserer Persönlichkeitseigenschaften, mit denen wir das Bild zum Ausdruck bringen.

Sokrates: Schließlich meistern wir unsere äußere Aufgabe – also jetzt zum Beispiel ein König zu sein – zu unserem Wohle und zum Wohle unserer Mitmenschen.

Xanthippe: Doch bitte, das gilt nicht nur für den König. Jeder kann seinen Wesenskern erkennen und sich weiter die Frage zu stellen: wie kann ich mein Wesen zu einem guten Ausdruck bringen?

Sokrates: Sei es nun als Krankenschwester, als Verkäufer, als Taxifahrer, als Lehrer, als Pfarrer, als Bürgermeister oder was auch immer.

Xanthippe: Ja ganz nach der individuellen Veranlagung.

Sokrates: Doch wir sind nicht abhängig von den äußeren Aufgaben und der Anerkennung.

Xanthippe: Hm, ich meine so ein Lob oder ein anerkennendes Wort für die geleistete Arbeit tun uns schon gut.

Sokrates: Sicher, ein Lob freut doch jeden. Nur wir machen unsere Arbeit nicht wegen des zu erwartenden Lobes. Die Entwicklung unseres Wesenskerns ist unsere zentrale Aufgabe. Und nach diesem Kern richten wir unsere täglichen Aufgaben aus.

Xanthippe: Als Resultat werden wir eigenständig. Wir werden Herr unseres Denkens, unseres Fühlens und unseres Handelns. Wir bringen unseren inneren Wert in den täglichen Aufgaben immer angemessener und leichter zu einem Ausdruck.

Sokrates: Das richtet uns auf. Das stärkt uns und verleiht uns Würde.

Xanthippe: Und diese Art der Würde kann mir niemand nehmen.

Sokrates: Allerdings habe ich dafür die Vorstellung, wie ich meinen Wesenskern zu einem Ausdruck bringe, in mir aktiv zum Leben zu erwecken und zu erhalten.

Xanthippe: Sokrates, wenn ich mir so unsere geführten Dialoge anschaue, da haben wir so viele konkrete Bilder entwickelt, wie die unterschiedlichen Persönlichkeitseigenschaften ausgelebt werden können.

Sokrates: Ja genau. Vielleicht können wir ja mit unseren Dialogen einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen ihrem Wesenskern auf die Schliche kommen und dass sie diesen Kern in ihrem Alltag zu einem würdevollen Ausdruck bringen.

In dem Artikel: Von der inneren zu äußeren Ordnung wird ein methodischer Ansatz beschrieben, wie wir unseren Wesenskern ergründen und zum Ausdruck bringen können.